SWR2 Wort zum Tag

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Nackt sein – wie schön - aber auch wie schmerzhaft kann das sein!

„Sie waren nackt und schämten sich nicht,“ heißt es von Adam und Eva im Garten Eden. Und wenn kleine Kinder ungezwungen im Sommer am Strand ohne Kleider spielen – dann ist mir so, als erreicht mich ein Gruß aus dem Paradies.

Sehr anders dagegen berührt mich die gegen Geld zur Schau gestellte Nacktheit. Immer wieder kommt mir eine Muslima in den Sinn: Ich sehe sie vor mir: an der Straßenkreuzung - mit Kopftuch und knöchellangem Mantel - wie sie vor einer Litfasssäule mit Dessouswerbung - stehen bleibt – und einen Blick auf den entblößten Körper des Models wirft - und wortlos weitergeht. Was denkt sie über die so zur Schau gestellte Nacktheit? Wie berührt sie das? Sie und andere Frauen – nicht nur Muslime? „Lass die Hose runter - Big Brother“ stand auf der nächsten Plakatwand. Wer bei solchen Slogans den Kopf schüttelt – sind das alles Prüde, Verklemmte, Lustfeinde? Ich spüre jedenfalls, wie Nacktheit verletzten kann – die bezahlt Entblößten wie auch die, die damit konfrontiert werden.

Mehr noch allerdings wird Nacktheit wider Willen zum Schmerz. Mir gehen Bilder nach - von Militärgefängnissen, wo Soldaten zur Nacktheit gezwungen, verspottet und gefoltert werden, vor anderen beschämt und gekränkt.
In aller schmerzhaften Nacktheit denke ich an den einen Entblößten - den Mann am Kreuz auf Golgatha – wie römische Soldaten ihm die Kleider runterreißen - und dann um seine Kleider spielen – darum „das Los werfen“ – wie es in der Bibel heißt. „Sie teilen meine Kleider und werfen das Los um mein Gewand.“ - so betet der nackte Leidende (Psalm 22,19). Auch mit dieser Demütigung verbindet sich seine letzte Klage am Kreuz: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Psalm 22,2). Denn nackt - wider willen entblößt werden – das ist so demütigend und so lieblos, das ist wie von Gott, der doch die Liebe ist, verlassen sein.
Geld und Gewalt beschädigen Nacktheit. Diese Leidensgeschichte hat noch kein Ende. Immer wieder tauchen Videos im Internet auf, die Freunde und Bekannte, Lehrer und Kollegen nackt denunzieren. So entblößt werden - ist entwürdigend. Ich will nicht taub werden für diese Schmerzen. Jesu Leidensgeschichte macht mich auch dafür empfindsam.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=3276
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