SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

16MRZ2021
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Im Arbeitszimmer meines Vaters lag früher ein handgewebter Teppich. Das Webmuster war absolut gleichmäßig und fehlerfrei. Eines Tages jedoch ist ein Tintenfass zu Boden gefallen und es hat einen unübersehbar dunklen Fleck auf dem Teppich gegeben. Das war richtig schade, aber trotzdem ist der Teppich an seinem Platz geblieben. Viele weitere Jahre lag er vor dem Schreibtisch. Ein geschmackvoller Teppich mit Schönheitsfehler.

Dieser Teppich ist mir wieder eingefallen, als ich die Webkunst der Navajo entdeckt habe. Mein Sohn ist von den indigenen Völkern Nordamerikas begeistert. Die Navajos sind bekannt für ihre kunstvoll gewebten Ponchos und Decken. Und deren Muster ähneln dem Teppich meines Vaters – bis auf etwas ganz Wesentliches.

Bei den Navajos wird in jeden Teppich ganz bewusst ein Fehler eingewebt.

Das machen sie, weil sie überzeugt sind, dass nur ihr Gott makellos, perfekt und vollkommen ist. Wir Menschen bleiben trotz aller Fähigkeiten letztlich unvollkommen. Frei nach dem Motto: „Wir sind nicht perfekt, also machen wir auch keine perfekten Teppiche.“ Eine bescheidene Lebenshaltung.

Sie machen auch deswegen bewusst einen Fehler beim Weben, damit sie sich nicht in dem perfekten Muster verlieren, sondern wieder herausfinden. Denn, wenn alles perfekt und ohne jeden Fehler sein soll, dann kann man sich in diesem Anspruch schnell verlieren. Dann sieht man nur noch die hohen Erwartungen und verliert den Rest der Welt aus den Augen.

Mir gefällt das mit dem Fehlereinweben. Denn wenn ich mir sage: „Du musst das nicht perfekt machen“ erlebe ich das als sehr entlastend. Natürlich strenge ich mich an. Weil ich das, was ich tue ja gut und richtig machen will. Aber wenn ich mir erlaube einen Fehler zu machen, und wenn es auch nur ein Kleiner ist, fühle ich mich freier.

Im Beruf und im familiären Alltag kann ich mir das immer wieder bewusst machen. Die Wohnung muss nicht bis auf das letzte Staubkörnchen sauber sein, die Fenster nicht makellos geputzt. Und meine Briefe und Emails müssen auch nicht bis auf das letzte Wort perfekt formuliert sein.

Fehler sind also wichtig. Sie sind ganz bewusst da, damit das Göttliche dazukommen kann.

(Schön, wenn es mir gelingt freier davon zu werden perfekt zu sein und dadurch sogar noch Raum für Gott lasse.)

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32759
weiterlesen...