SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

04MRZ2021
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Es ist ein kleines bisschen magisch: Ich sitze vor meinem Computer und klicke auf eine Seite im Internet. Und plötzlich stehe ich in einer fremden Wohnung am Fenster. Ich schaue direkt in den wunderschönen Blumen-Garten von Karen in Kanada. Ich sehe den eingefassten Schotterweg zwischen den Beeten und den Holzschuppen am Rand des Gartens. Als ob ich selbst dort wäre. Ich klicke die Seite ein zweites Mal an: Und lande ganz woanders, tausende von Kilometern entfernt. In einem Wolkenkratzer. Aus Clives Fenster in schwindelerregender Höhe beobachte ich, wie die Schiffe in den Hafen von Hongkong einlaufen. Es dürfte später Nachmittag sein.
Ich könnte jetzt ewig so weitermachen. Denn es gibt Tausende dieser Fenster im Internet zu entdecken. Und jedes erzählt von einem anderen Augenblick, irgendwo auf der Welt. „Window-Swap“, also „Fenster-Tausch“, so heißt das Projekt, das während der Corona-Pandemie im Internet entstanden ist. Das Besondere daran: Menschen stellen mir auf dieser Internetseite in einem kurzen Fenster-Film ihren ganz privaten Ausblick zur Verfügung. Sie nehmen mich mit in ihr Zuhause. Für mich entsteht dadurch eine eigenartige Form von Nähe. Und ich fühle mich den fremden Menschen auf besondere Weise verbunden. Sicher auch deshalb, weil wir momentan alle in derselben Lage sind: Durch die Pandemie ziehen wir uns alle zurück. Unsere Verbindung nach draußen ist ganz oft der Blick aus dem Fenster.

Es tut gut, wenigstens virtuell um die Welt zu wandern. In Gedanken ein bisschen auszubrechen. Von meinem heimischen Fenster aus sehe ich im Garten Hasen und Eichhörnchen. Ich mache mich nochmals auf den Weg. Dieses Mal „reise“ ich zu Kaushak; er lebt am anderen Ende der Welt, im indischen Mumbai. Was ich aus seinemFenster sehe, ist wenig idyllisch: Grauer Himmel, graue Wohnblöcke, viele Bahngleise. Direkt an den Gleisen stehen einfache Hütten, eine an der anderen. Abgedeckt mit Plastikfolie oder Wellblech. Der Wind pfeift darüber. Manche Ausblicke sind bedrückend.

Trotz aller Einschränkungen und Schwierigkeiten bin ich froh, dass ich die Corona-Zeit in Deutschland verbringe. Ich bin dankbar für alleEinblicke und Fenster-Ausblicke! Das Projekt „Fenster-Tausch“ ist nicht nur ein genüsslicher Zeitvertreib. Es hält meine Neugier wach. Und es erinnert mich daran, dass mich die Welt da draußen, trotz Pandemie, etwas angeht. Und dass wir trotz des Rückzugs in unsere eigenen vier Wände nicht aufhören dürfen, uns füreinander zu interessieren.

www.window-swap.com

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32688
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