SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

03MRZ2021
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Es gab so einige Tage im zurückliegenden Jahr, da hätte ich gerne meine „Corona-Familien-Klause“ getauscht. Den Ort also, an dem meine Kinder, mein Mann und ich wochenlang aufeinandergesessen sind. Und gleichzeitig eingeschlossen waren in unsere vier Wände. Mit allem, was auch schön war; wie die gemeinsamen Mahlzeiten und die Film-Abende. Und mit allem was belastend war - jeder hat die Launen und Stimmungen des anderen hautnah mitbekommen. An solchen Tagen hätte ich gerne getauscht. Unsere Klause gegen eine echte Klause. Eine, wie die von Maria Anna. Sie ist eine richtige Einsiedlerin. Ich habe sie letztes Jahr kennengelernt. Maria Anna lebt in der Nähe von Osnabrück auf einem abgelegenen Hof. Zu ihrer Eremiten-Klause führt ein ziemlich matschiger Feldweg.
Jetzt im Winter schläft Maria Anna eine Stunde länger. Sie steht erst um 7 Uhr auf. Direkt nach dem Aufstehen geht sie in die kleine Kapelle in ihrer Klause und beginnt den Tag mit einem Gebet. Anschließend füttert sie ihre Ziegen. Und diese Struktur zieht sich dann durch den ganzen Tag – Gebet und Arbeit, immer im Wechsel.
Als Einsiedlerin lebt sie eine ganz besondere Berufung. Und das seit fast 30 Jahren. Sie lebt allein mit Tieren und mit Gott. Und ist tief zufrieden dabei. Sie weiß, wie sich Einsamkeit anfühlt, auch wenn sie ihr nicht weh tut. Und sie weiß wie es ist, wenn der eigene Radius klein ist. Weil sie sich fast ausschließlich ums eigene Haus herum bewegt. Wenn ich genauer darüber nachdenke: Meine Corona-Klause und ihre sind sich ähnlicher, als es zunächst scheint. Trotzdem würde ich gerne für ein paar Wochen tauschen!  Ich wäre gerne Kurz-Zeit-Eremitin! Kein Homeoffice und homeschooling gleichzeitig, keine Hausaufgaben. Kein Familien-Wocheneinkauf, keine Essensdiskussionen. Nicht über den Sinn von allem nachdenken müssen. Mal wieder einem klaren Tagesablauf folgen. Kein ständiges Unterbrechen und unterbrochen werden.

Ich bleibe natürlich in meiner Corona-Familien-Klause. Da ist im Moment mein Platz. Es sind aber zwei Dinge, die ich in meinen vier Wänden im zurückliegenden Jahr gelernt habe: Ich kann heute besser verstehen und mitfühlen, wenn Menschen von Einsamkeit und Angst sprechen. Und: Ich bin viel sensibler dafür geworden, dass jeder von uns „freie“ Zeit braucht. Frei von der Familie, unbeobachtet, unkontrolliert. Ich möchte mir außerdem immer wieder kurze Klausur-Zeiten zugestehen. Nur für mich verantwortlich sein. Nicht um mich aus der Verantwortung zu stehlen – sondern um Kraft zu tanken. Ein bisschen Eremitinnen-Kraft.

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