SWR2 Wort zum Tag

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27FEB2021
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Bis heute erinnere ich mich an das Gefühl, wenn ich als Kind Phil Collins‘ Song
„In the air tonight“ hörte. Gruselig und gefährlich stellte ich mir vor, worum es dabei ginge. Tatsächlich ist das Lied finster, ein dunkles Ringen mit Gott. Darauf wurde ich aber erst jetzt, durch einen Artikel zu Phil Collins 70. Geburtstag aufmerksam.

Im Refrain heißt es: „I can feel it coming in the air tonight, oh Lord. I’ve been waiting for this moment, for all of my life, oh Lord.” – übersetzt: Ich kann spüren, wie es heute Abend in der Luft liegt, oh Herr. Ich habe mein ganzes Leben auf diesen Moment gewartet, oh Herr.

„Oh Lord“ - der Song ist ein Gebet. Um viele hässliche Erfahrungen geht es da. Im Hintergrund steht die Scheidung von Phil Collins erster Frau. Ich spüre den Zorn und den Ärger, die ihn umtreiben – und Rachegefühle, wenn er singt: „Wenn du mir sagen würdest, dass du ertrinkst, ich würde dir nicht die Hand reichen“. Der Sänger redet über Zwischenmenschliches – aber ich habe den Eindruck: Das sind Erfahrungen, die hat er auch mit Gott gemacht: Wieso brichst du dein Schweigen nicht? Warum lässt du mich hier absaufen und hilfst mir nicht?

In dieser Nacht lässt er Gott nicht einfach so davonkommen. Heute muss Gott sich anhören, welchen Schmerz er verursacht hat und der Sänger greift ihn dafür an.

Ich muss an die biblische Geschichte von Jakob denken, der am Fluss Jabbok mit einem Unbekannten ringt, bis der Morgen anbricht. Als keiner den anderen besiegen kann, will der Fremde sich davonstehlen. Da sagt Jakob zu ihm: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.“ Daraufhin beendet der den Kampf und sagt: „Du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und hast gewonnen.“

Für Jakob ging das Ringen mit Gott gut aus. Für Collins auch: Immerhin wurde „In the air tonight“ sein erster großer Soloerfolg.

Die dunkle Begegnung in der Nacht hat etwas verändert und vorangebracht. Mir macht das Mut, meine eigenen Zweifel und mein Unverständnis Gott entgegenzuhalten. Manchmal will auch ich ihm sagen: „Jetzt bleib mal hier, mein Freund. Wir zwei gehen erst auseinander, wenn Du Dir angehört hast, wie es mir geht!“ Solch eine Auseinandersetzung, solch ein Ringen mit Gott, das schmerzt. Aber nachgeben und den „lieben Gott“ ungeschoren davonkommen lassen? Auf keinen Fall: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32662
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