Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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26FEB2021
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Hauptsache, ich habe einen Schuldigen. Einen, den ich verantwortlich machen kann für die Dinge, die nicht klappen. Das steckt in uns Menschen drin und deshalb spielen wir es gern: Das Schwarze-Peter-Spiel. Der Schwarze Peter, die Schuld, soll doch bitte schön immer am andern hängen bleiben. Denn Schuld haben immer die andern. Und in diese Kerbe hauen sie rein, die Verschwörungstheorien. Sie bedienen meinen Wunsch, die Schuld andern in die Schuhe zu schieben. Sie machen mein Leben so wunderschön einfach: Ich muss mich nicht mit irgendwelchen komplizierten wissenschaftlichen Erklärungen herumschlagen, brauch mich nicht nach Ursache und Wirkung zu fragen oder gar: Wo muss ich mein Verhalten ändern? Denn Schuld sind irgendwelche Bösen. Besonders beliebt bei den Verschwörungstheoretikern: Man schiebt die Schuld geheimen Mächten, undurchsichtigen Gruppierungen oder am besten einem ganzen Volk zu. Ganz oft trifft das dann die Juden. Immer wieder in der Geschichte schiebt man ihnen die Schuld in die Schuhe.

Heute feiern die Juden das Fest Purim, zu Deutsch Los, Schicksal. Sie erzählen sich dabei eine Geschichte, die vor 2500 Jahren in Persien spielt. Haman, ein hoher Beamter des Königs spielt geschickt das Schwarze-Peter-Spiel. Er macht dem König klar, dass die Juden an allem Unheil in seinem Reich schuld sind. Der willigt ein und gibt den Befehl, alle Juden zu töten. Aber die Königin Esther, eine Jüdin, tritt für ihr Volk ein und entlarvt Haman als Verschwörungstheoretiker. Einer, der nur von seiner eigenen Schuld ablenken will. Durch Esther hat die Geschichte für die Juden ein Happy End. Das feiern sie heute, wohl wissend, dass dies in der Geschichte leider nicht so oft vorkam. Aber Geschichte ereignet sich nicht, ist nicht Schicksal, sondern wird durch Menschen gemacht. Und schuldig werden dabei nicht nur die Täter, sondern auch die Zuschauer.

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