SWR2 Wort zum Tag

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22FEB2021
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Eng ist er derzeit – der Spielraum in meinem Leben. Vieles, was nicht geht. Vieles, was ich vermisse. Zuallererst viele Menschen, mit denen ich mich derzeit nicht treffen kann.

Eng war der Spielraum auch für Martin Luther geworden. 1522 war das. Ein Jahr lang war vieles nicht mehr gegangen. Der Landesherr hatte ihn versteckt. Auf der Wartburg. Da weitet Luther seinen Spielraum. Er musste ihn weiten. Wenn er den Blick nach Wittenberg gerichtet hat.

Dort drohte die Reformation aus den Fugen zu geraten. Einige Heißsporne unter den Reformwilligen schossen dort gewaltig übers Ziel hinaus. Und gefährdeten so den Erfolg der Reformbewegung. Da kehrt Martin Luther nach Wittenberg zurück. Es gelingt ihm, den Weg der Veränderungen wieder in ordentliche Bahnen zu lenken. Durch acht Predigen. Jeden Tag eine. „Ja, predigen will ich“, sagt er. „Aber niemanden mit Gewalt zwingen!“ Luther vertraut darauf, dass Worte Wirkung entfalten. Besser noch: Dass Gott sie Wirkung entfalten lässt. Derweil wollte er mit seinen Freuden ein gutes „wittenbergisch Bier“ trinken.

Davon spricht er in seiner Predigt am Montag nach dem Sonntag Invocavit. Der Montag nach dem Sonntag Invocavit ist heute auch wieder. Nur eben 499 Jahre später. Der Name des gestrigen Sonntags - Invocavit - ist der lateinischen Übersetzung eines Psalmverses entnommen. „Der Mensch hat gerufen“, heißt es da. „Und ich will ihn erhören.“ (Psalm 91,15) Es lohnt sich also, auf Gott zu setzen. Um Spielraum im Denken und Handeln zurückgewinnen.

Auf das gute „wittenbergisch Bier“ würde Luther heute womöglich verzichten. Und sich den unzähligen Menschen anschließen, die in den Wochen bis Ostern bei der Aktion „Sieben Wochen ohne“ mitmachen. „Spielraum!“ So lautet ihr Motto in diesem Jahr. Wie Luther damals brauche ich heute Spielraum. Auch wenn die Situation eine ganz andere ist. Spielraum für Gottes Wirken. Aber zugleich auch Spielraum für mich selber. Den kann ich finden, wenn ich für eine begrenzte Zeit auf etwas verzichte. Das ist in diesem Jahr noch einmal anders als sonst. Weil im Lockdown ohnehin Verzicht angesagt ist. Apropos Verzichten: Das könnte ich doch auch üben bei einigen meiner Klagen, wie schlimm die Verhältnisse derzeit doch sind. Das verschafft mir Spielraum. So wie sich Martin Luther das schon vor 499 Jahren vorgestellt hat.

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