SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

18FEB2021
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Ein afrikanischer Priester hat eine Zeitlang bei mir im Pfarrhaus gewohnt. Hin und wieder haben wir darüber gesprochen, was wir in der Seelsorge erleben. Und dabei auch erfahren, wie unterschiedlich die Verhältnisse in Afrika und bei uns sind. Ein besonders markanter Hinweis bleibt mir wohl auf immer im Gedächtnis. Wir hatten über jemanden gesprochen, der sehr einsam war, und wegen dieser Einsamkeit tief traurig und niedergeschlagen. Ich habe meinen afrikanischen Pfarrerskollegen gefragt, was sie da tun, wie sie bei ihm zuhause mit so einer Situation umgehen. Darauf hat er gesagt: „Wir sind eigentlich nie allein bei uns.“ Das fand ich doch sehr erstaunlich. Dass die sozialen Umstände, die Lebensweisen, so verschieden sind. Bei uns ist das eines der großen und zunehmenden Probleme. Menschen werden einsam, weil sie allein leben. Manche wählen das für sich so, weil sie es für das Beste halten. Andere verlieren ihren Partner, weil er sie verlässt oder stirbt. Und dann sind sie auf einmal allein. Im Alter ist die Einsamkeit eines der ganz großen Themen in der deutschen Gesellschaft. Wie oft habe ich das gemerkt, wenn ich jemanden zuhause besucht habe. Und nicht wenige sagen das auch ganz offen: „Ich habe niemanden.“ Ich will jetzt nicht nach Ursachen suchen. Aber die Tatsache erschreckt mich. Und in Afrika, in der Heimat meines Priester-Kollegen, ist das offenbar so ganz anders. Er erzählt mir, dass immer mehrere Generationen zusammenleben. Die meisten Familien sind sowieso groß, weil es immer viele Geschwister gibt. Es käme nicht in Frage, die alten Eltern ganz alleine zu lassen. Und solange man nicht in einer Metropole lebt, haben auch die Nachbarn einander gut im Blick. Man weiß, wenn es einem schlecht geht. Und dann kümmert man sich.

Es geht mir nicht darum, eine Lobeshymne auf die afrikanischen Verhältnisse zu singen. Mir ist auch klar, dass man das nicht einfach bei uns kopieren kann. Das wäre nicht die Lösung. Trotzdem gefällt mir der Gedanke, dass Menschen aufeinander achtgeben. Nicht um andere zu überwachen, nicht aus Neugierde oder im Sinne eines Blockwarts, der nur darauf wartet, ein Vergehen zu finden. Es geht mir um den sorgenden, ja liebenden Blick füreinander. Ich merke, wie gut es mir tut, wenn andere an meinem Leben Anteil nehmen, wenn sie ein bisschen auf mich aufpassen. Kein Mensch ist allein auf der Welt, keiner lebt bloß für sich. Und da ist es doch nur richtig, wenn wir einander das auch spüren lassen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32603
weiterlesen...