Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„Ich will selber“ – kaum hat ein Kind sprechen gelernt, sagt es diese wichtigen Worte: „ich will selber“. Mit aller Gewalt will es selber: sich anziehen und essen und die Türen aufmachen und ganz selber die Zähne putzen – und wenn das Kind das dann geschafft hat, platzt es fast vor Stolz. Fühlt sich ganz groß. Zu recht. Es ist schon ganz groß – weil es was Wichtiges erfolgreich gemeistert hat.
„Ich will selber“. Selber tun, was ich selbst tun kann, das braucht jeder. Das gilt nicht nur für Kinder, das gilt auch für Erwachsene. Und erst recht für kranke oder behinderte und für alte Menschen. Sie wollen selbstbestimmt leben und ihre Würde behalten.
Und doch gibt es viele Situationen, da kommen wir nicht selber zurecht. Da brauchen wir einander. Müssen wir einander um Hilfe bitten. Das fällt manchen ganz schön schwer. Weil doch das „Selber-tun-Wollen“ so ganz tief drin sitzt. Ich kann doch unmöglich zeigen, dass ich nicht alleine zurecht komme. Ich kann doch unmöglich andern zur Last fallen. Das geht gegen den Stolz.
Ich bin sicher, dass aus genau diesem Grund Gott heute für viele undenkbar geworden ist. Sich Gott anvertrauen? Das würde ja heißen, dass der Mensch angewiesen ist auf eine Hilfe, die größer ist als er selbst. An Gott glauben? Das würde ja bedeuten, dass der Mensch nicht alles ist und nicht alles kann, dass er eine Macht nötig hat, die über ihn hinausweist. Das aber kränkt den Menschen, der doch selber alles bestimmen möchte.
Der Philosoph Sören Kierkegaard setzt dem eine andere Einsicht entgegen. Er hat den wunderbaren Satz geschrieben: „Gott nötig zu haben ist des Menschen höchste Vollkommenheit“.
Gott nötig haben – das heißt doch, dass ich anerkenne: Ich kann nicht alles selber. Manchmal brauche ich Hilfe. Ich vertraue mich Gott an.
Beides gehört für mich zusammen: Selbst tun und gleichzeitig auf Gott bauen. Ich bin sicher, dann kann es rund werden, mein menschliches Leben.

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