SWR2 Wort zum Tag

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10FEB2021
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Auch wenn der Tag schon begonnen hat – heute möchte ich ein Lob der Träume singen. Es ist nämlich eine geheimnisvolle Sache damit. Unsere nächtlichen Träume sind eine Quelle der Inspiration. Einige wichtige wissenschaftliche und technische Erfindungen sind tatsächlich im Schlaf oder zumindest im Halbschlaf entstanden. Den weltberühmten Chemiker August von Kekulé etwa haben gleich zwei Träume zu wissenschaftlichen Durchbrüchen verholfen. Einmal träumte er in einem Autobus und verstand den Zusammenhang der Atome, ein anderes Mal hatte er lange über der Frage gegrübelt, wie die Struktur des Benzols aussehen könnte. Als er ins Kaminfeuer blinzelte und sich die Flammen zu Ringen formten, hatte er im Halbschlaf die Erleuchtung: Die Struktur ist kreisförmig! Anscheinend kann tatsächlich ein Mittagsschläfchen für die Forschung mehr bringen als ein ganzer Tag im Labor. Das funktioniert nicht nur in der Wissenschaft. Ich kann das aus eigener Erfahrung und für meinen Lebensbereich nur bestätigen. Mitunter grübele ich den ganzen Tag über einer Frage, bin ärgerlich, nervös, unzufrieden und finde trotzdem - oder gerade deshalb! - einfach keine Lösung. Nachts, im Traum, fällt mir dann ein, was mir weiterhelfen könnte. Deshalb habe ich auf meinem Nachttisch einen Block und einen Stift liegen, damit ich mir solche guten Ideen nach dem Aufwachen gleich notieren kann.

Schließlich: Viele zentrale Figuren der Bibel bekommen im Traum wichtige Hinweise: Jakob versteht die Träume des Pharao, der Prophet Daniel kann den Traum des babylonischen Herrschers Nebukadnezar deuten. Sogar Alpträume, die weniger angenehmen Begleiter der Nacht, können sehr sinnvolle Botschaften für mich bereithalten. Sie zeigen mir nämlich, wovor ich Angst habe, was ich mir tagsüber womöglich gar nicht bewusst eingestehen mag. Der Traum konfrontiert mich mit meinen Schatten. Am nächsten Morgen wache ich vielleicht etwas erschöpft, aber doch mit dem guten Gefühl auf, die Angelegenheit Alptraum überlebt zu haben. Das macht Mut, sich auch im realen Tagesleben den Herausforderungen zu stellen. Mir ist einmal durch einen Traum klar geworden, dass ich dabei bin, mich in eine Sackgasse zu manövrieren. Am nächsten Morgen habe ich meine Pläne überdacht und entscheidend geändert. Ich habe das bis heute nicht bereut – es war die richtige, durch einen Traum geleitete Entscheidung.

„Es ist umsonst, dass ihr früh aufsteht und hernach lange sitzet und esset euer Brot mit Sorgen; denn seinen Freunden gibt er es im Schlaf“, heißt es im 127. Psalm. Tatsächlich: Träume sind kleine Gottesgeschenke.

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