SWR2 Wort zum Tag

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02FEB2021
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Eines Tages ist Frau Bauer auf unsere Station gekommen. Ich war damals als Krankenpfleger für sie zuständig. Sie hatte ein Leben im Glauben geführt. Hatte sich zeitlebens in ihrer Gemeinde engagiert, sich um die Menschen gekümmert, ist ein Vorbild gewesen. Eben so jemand, den alle Gemeinschaften brauchen. Dann ist sie krank geworden. Und sehr schnell ist klar geworden, dass sie bald sterben würde. Und sie ist stinksauer auf Gott gewesen.

Wir hatten einen guten Draht zueinander und haben sehr viel gesprochen. Wenn ich aber auf Gott oder den Glauben gekommen bin, hat sie immer wieder gesagt: „Bleib mir weg mit Gott.“ Ihre Verwandten wollten für sie noch eine Krankensalbung. Aber sie hat abgeblockt. „Das brauch ich nicht“, ist ihre einzige Antwort gewesen. Sie ist dann ohne kirchliche Begleitung gestorben. Das hat ihre Familie recht mitgenommen. Neben dem Verlust hat sie belastet, dass Frau Bauer sich von Gott abgekehrt hatte.

Aber hat sie das wirklich? Ist das nicht zu schwarz – weiß gedacht? Wenn ich sauer bin oder gekränkt von jemandem und Abstand brauche, heißt das gleich, dass ich überhaupt nichts mehr mit ihm zu tun haben will? Ich kann und will Frau Bauers Gottesbeziehung nicht auf ihre letzten Tage reduzieren. Ihr Leben ist doch viel länger, ihre Gottesbeziehung viel mehr gewesen. Es ist doch in allen Beziehungen so, dass wir uns mal näher, mal ferner sind. Es ist in Ordnung auch mal sauer aufeinander zu sein. Und es ist auch in Ordnung mal sauer auf Gott zu sein. Manchmal ist das Leben eben: beschissen. Und in Frau Bauers Situation ganz besonders. Eigentlich hat sie ziemlich gesund reagiert. Und sie hatte ja ihr Leben lang eine intensive Beziehung zu Gott, sie wird schon gewusst haben wie stabil diese ist. Sie hat nicht nach dem „Warum“ für ihre Krankheit gefragt, nicht darüber gegrübelt, womit sie das verdient hat. Sie war einfach nur sauer darüber, dass es so ist wie es ist. Dass sie todkrank ist.

Ich glaube, sie hat es richtig gemacht. Ich glaube, dass es Situationen gibt, in denen darf man auf Gott schimpfen. Da tut es gut zu fluchen. Dabei wird er nicht gleich abgelehnt. Im Gegenteil, es ist Ausdruck eines wirklichen Ringens und Bemühens.

Ich stelle mir vor, dass sie da dann im Himmel angekommen ist und der ganzen versammelten Gemeinschaft der Heiligen so richtig die Meinung gegeigt hat.

Und der Herrgott hat die Arme ausgebreitet und gesagt: Ein ehrlicher Mensch. Herzlich willkommen!

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