SWR2 Wort zum Tag

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01FEB2021
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Nach dem Abitur habe ich fast 20 Kilo abgenommen. Ich bin in eine andere Stadt gezogen, um einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen. Und in diesem wollte ich schlank sein. So viele Leute haben Witze über dicke Menschen gemacht. Davor habe ich Angst gehabt, ich wollte nicht dick sein. Ich wollte normal sein und dazugehören. Und schlank zu sein wurde für mich das Symbol dafür.

Ich hab mich auf Diät gesetzt und mit dem Joggen angefangen. Ich bin jeden Tag ein Stück weiter gelaufen. Und auch als ich rank und schlank war, bin ich weiter gelaufen. Immer weiter. Wenn ich mal nicht laufen konnte, habe ich mich sofort wieder dick gefühlt. Und dann entsprechend wenig gegessen. Ich habe ein ziemlich gestörtes Verhältnis zum Essen entwickelt.

Essen ist zum Feind geworden.

Heute habe ich das weitgehend im Griff. Aber ich habe das Gefühl, dass es sehr viele Menschen gibt, die ähnlich empfinden. Vor allem Jugendliche. Denn Schlankheit und Schönheit werden in einer Welt, in der Bilder so wichtig sind, beinahe gleichgesetzt. Schlank zu sein heißt schön und richtig zu sein. Über Dicke macht man immer noch Witze.

Alle gut gemeinten Sätze wie: „Du bist schön, so wie du bist“, oder „Gott liebt dich wie du bist“, haben mir damals nichts gebracht. Das war mir zu theoretisch und zu banal. Die Wirklichkeit hat sich anders angefühlt.

Erst ganz allmählich ist mir etwas aufgefallen: Ich war zwar gertenschlank, aber deshalb nicht normaler oder gar beliebter. Eigentlich waren mir die Gespräche über meinen schlanken Körper unangenehm. Über anderes hatte ich aber wenig zu sagen, weil ich mich ja hauptsächlich damit beschäftigt habe schlank zu sein.

Ein Freund hat mir die Augen geöffnet. Und zwar indem er einfach nur so gewesen ist, wie er ist. Er war ein bisschen pummelig, außerdem unglaublich herzlich, witzig, klug, sympathisch und vor allem glaubwürdig. Er hat immer viele Freunde gehabt, auch eine tolle Freundin, in die ich eigentlich verliebt gewesen bin. Er hat das gehabt, was ich mit meiner Schlankheit erreichen wollte: Er hat dazu gehört. War angenommen.

Durch ihn habe ich begriffen, dass zum Dazugehören etwas anderes gehört als irgendwelche Äußerlichkeiten. Etwas, das ich mir nicht durch Laufen oder Fasten aneignen kann. Ich kann es mir gar nicht aneignen, es ist immer da. Mein Wesen, meine Persönlichkeit. Das, was Gott in mir angelegt hat. Das versuche ich anzunehmen. Darauf möchte ich vertrauen. Und das darf so dick sein wie es will.

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