SWR2 Wort zum Tag

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30JAN2021
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Er galt als „Schulrüpel ersten Ranges“, fuhr für ein paar Jahre als Matrose zur See, arbeitete in unzähligen Gelegenheitsjobs und hungerte bisweilen. Dass er einmal berühmt  werden würde, konnte er nicht ahnen. Joachim Ringelnatz, Kabarettist, Maler und Schriftsteller, -geistreich, skurril, witzig - und hässlich: „Ich weiß, schrieb Joachim Ringelnatz, dass ich hässlich bin. Meine Beine sind krumm. Ich habe ein schiefes, vorstehendes Kinn.“ Ringelnatz versuchte das Beste draus zu machen: „In mancher Gesellschaft scherze ich selbst über meine Fehler. Wenn meine Bekannten darüber spaßen, lache ich.“ Und doch bekannte er: „In beiden Fällen bin ich unaufrichtig, denn es schmerzt mich innerlich. Ich pflege bei anderen Menschen immer erst auf Kinn und Beine zu sehen. Wie muss das herrlich sein, normale Gliedmaße zu besitzen. Gewiss ebenso angenehm als das Gefühl, gute Kleider, Wäsche und ordentliches Schuhzeug zu besitzen.“

Joachim Ringelnatz ließ sich nicht damit trösten, dass doch alle Menschen irgendwie schön aussehen. Er spürte ja auf Schritt und Tritt, dass er anders war als die anderen. Besonders deutlich als Kind, wenn ihn die Mitschüler wegen seiner langen Nase unbarmherzig als „Rüsseltier“, „Nashorn“ und „Nasenkönig“ verspotteten. Er beneidete die, die einfach ganz normal aussahen. Als Kind weinte er heimlich darüber, als Erwachsener lachte er mit. Über die zu kurzen Beine, das vorstehende Kinn, die lange Nase. „Ich bin überzeugt, dass mein Gesicht mein Schicksal bestimmt. Hätte ich ein anderes Gesicht, wäre mein Leben ganz anders, jedenfalls ruhiger verlaufen.“

Er lacht über sich selbst, weil er nicht mehr weinen will und setzt seinem eigenen Schmerz etwas entgegen: seine Bilder, seine Gedichte, sein Lachen – und seinen Glauben. Er glaubte an Gott und an „Gottes allübertreffende Überlegenheit“ und legte sich den Künstlervornamen „Joachim“ zu, das bedeutet „Gott möge retten“. Vor allen wichtigen Angelegenheiten betete er. Und in den Briefen an seinFrau findet sich immer wieder die Wendung „das wollen wir Gott überlassen“.  „Hinter der Klabautermannfratze wohnt ein zartes Kinderseelchen“ schrieb einmal ein Freund über ihn. Ein Kinderseelchen mit einem festen Glauben. Der macht die Nase nicht kürzer, die Beine nicht gerade. Der macht die Menschen nicht klüger, die über das Aussehen anderer spotten, der macht die Kinder nicht gnädiger, die andere Kinder hänseln. Aber dieser Glaube half ihm, seinem Schicksal die Stirn zu bieten.

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