SWR2 Wort zum Tag

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26JAN2021
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Jedes Mal, wenn ich im Altarraum der Gedächtniskirche in Speyer sitze, sehe ich es vor mir: Dieses kleine, aber markante Stück Unvollkommenheit. Ein kleiner Mosaikstein, der aus der Reihe fällt. Er ist Teil eines Bodenmosaiks aus Weintrauben und Reben, das den Altarraum in einem großen Band umspannt. Alle anderen Steine sind perfekt zusammengefügt. Einzig an dieser Stelle fällt einer aus dem Rahmen, ist falsch verlegt.

Am Anfang, nachdem ich es bemerkt habe, hat mich das sehr gestört. Ein Makel und Zeichen der Unvollkommenheit in einem ansonsten vollkommenen Bild. Das Bild mit den Reben und Weintrauben im Altarraum ist theologisch mit Bedacht gewählt. Es umrankt den Ort, an dem das Abendmahl gefeiert wird.

Jeder, der sich seiner Unvollkommenheit bewusst ist, der um die Unzulänglichkeit seines Redens, seines Tuns und Denkens weiß, ist eingeladen daran teilzunehmen. Um im Bild zu bleiben: Auch wer aus der Reihe gefallen ist, darf getrost hierher kommen. In bewusster Gemeinschaft vor Gott mit all den anderen, die ebenfalls mit ihm und ihr hier stehen. Im Kreis um den Altar. Und das Ziel ist nicht doch noch vollkommen perfekt, makel- und tadellos zu werden. Sondern zu erleben: ich bin angenommen. Mit meiner Unvollkommenheit. Ohne Wenn und Aber. Und daraus erwächst mir neue Kraft.

Ich erinnere mich an eine eigene Erfahrung. Ich kam zum Abendmahl mit Vorwürfen im Kopf: mir war bewusst, ein paar Tage zuvor hätte ich den Mund aufmachen sollen. Aufstehen. Nicht schweigen. Beim Abendmahl einige Zeit später habe ich dann gespürt: ich kann mein Fehlverhalten Gott anvertrauen. Und bin dennoch angenommen. Das hat mich entlastet und mir Kraft gegeben. So dass ich später, bei anderer Gelegenheit, meinen Mund aufgemacht habe.

Seitdem weiß ich: Das Abendmahl kann ungeheuren Trost spenden. Und gibt Kraft zu neuem Leben. Brot und Wein stehen dafür. So wie Jesus gesagt hat: Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der wird viel Frucht bringen.

Dass ich unvollkommen bin, stört nicht. Ich bin angenommen und eingeladen, mich Gott anzuvertrauen. Und Kraft zu neuem Leben zu schöpfen. Ein tröstlicher Gedanke wie ich finde.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32459
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