Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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25JAN2021
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Wenn die Pandemie vorüber ist, würde ich über einiges noch einmal in Ruhe nachdenken wollen. Das betrifft nicht nur Masken und Schutzkleidung. Das betrifft auch den Umgang mit der Religion. Vordergründig geht es vor allem um die Gottesdienste: Die einen schütteln verständnislos den Kopf darüber, dass alle Versammlungen abgesagt werden – nur Gottesdienste dürfen stattfinden, obwohl sich Menschen dort infizieren. Andere werfen den Kirchen übertriebene Ängstlichkeit vor - weil sie Gottesdienste gleich ganz streichen, anstatt sie mit strengen Hygieneauflagen durchzuführen.

Dahinter steht für mich die Frage, welche Bedeutung Religion in der Pandemie hat. Ist sie eine Freizeitbeschäftigung wie andere auch und deshalb genauso einzuschränken – oder geht es um etwas anderes?

Wissenschaftler weisen darauf hin, dass Religion seelisch und psychisch stabilisiert. Religion sei – ähnlich wie Kunst und Philosophie – unverzichtbar, damit Menschen ihre Emotionen, ihre Gefühle verstehen und sich in der Welt noch orientieren können. Gerade in Zeiten von Corona. Religion helfe auch, Aggressionen zu bewältigen und zu verarbeiten. Das ist nicht unwichtig, wenn Menschen verängstigt sind, den Nächsten als Infektionsträger verdächtigen und unfreiwillig zu Hause auf einander hocken.
Und eine Religionswissenschaftlerin hält Religion für eine Hysteriebremse: Religiöse Menschen fürchten natürlich auch den Tod und sind wie alle an Hygieneregeln gebunden. Aber sie seien nicht so versessen auf das eigene Leben. Sie seien ruhiger, würden nicht so schnell hysterisch. Das diene auch der Gesellschaft.
Deshalb halten manche Wissenschaftler Religion für systemrelevant.

Nun hat Religion nicht systemrelevant zu sein, sie kann auch Systeme sprengen. Und Religionsfreiheit gilt ohne gesellschaftlichen Nutzen. Doch in der Pandemie stärkt Religion offenbar die Menschen, macht sie gelassener. Deshalb sollte sie gerade in Corona-Zeiten noch möglich sein, auch gemeinschaftlich. Das kann sich durchaus auf andere Lebensbereiche auswirken, etwa auf die Kunst. Vielleicht lernen wir gerade aus den Erfahrungen mit Gottesdiensten, wie Konzerte und Theater künftig in einer Pandemie möglich sind. Auch darüber sollten wir in Ruhe nachdenken.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32449
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