SWR4 Abendgedanken

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15JAN2021
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Meine Enkeltochter hat mir ein Bild gemalt. Oben auf dem Bild steht als Widmung: „Opo“. Das bin ich. Und darunter sind ein Haus und ein Baum zu sehen. Ich gebe zu: In den Augen der Kunstwelt ist dieses Bild sicher nicht preisverdächtig. Kein Kunstsammler würde dafür viel Geld ausgeben. Aber für mich hat es einen besonderen Wert.

„Um den wahren Wert einer Sache zu erkennen, muss man wissen, wer sie gemacht hat“. Das hat mal ein kluger Mensch gesagt und auf das Bild meiner Enkeltochter trifft es zu. Das Bild ist für mich wertvoll, weil meine Enkeltochter es für mich gemalt hat. Da steckt ihre Liebe drin.

Ich bin überzeugt: Was für das Bild meines Enkelkindes gilt, gilt auch für Menschen. Für jeden und jede von uns. Ich bin nicht wertvoll, weil ich so perfekt bin. Oder weil ich so außergewöhnliche Leistungen vollbringe. Oder weil ich ein Haus besitze. Oder weil ich Geld für soziale Projekte spende. Um meinen Wert zu erkennen, muss ich wissen, wer mich gemacht hat.

In der Bibel, im Psalm 139, betet ein Mensch zu Gott: „Ich danke dir, dass du mich wunderbar gemacht hast. Wunderbar sind alle deine Werke.“ (Psalm 139,14)

Ich stelle mir vor: Da steht einer vor dem Spiegel und schaut sich an. Und was er da sieht, ist bestimmt nicht perfekt. Vielleicht zeigt ihm das Spiegelbild einen kleinen Bauch, eine beginnende Glatze, Falten im Gesicht, Brille auf der Nase, zu kurze Beine. Kein Adonis. Kein Körper, mit dem er bei Schönheitswettbewerben antreten könnten. Dazu kommt noch all das, was der Spiegel ihm nicht zeigt, weil es innen drin im Herzen sitzt: Seine Sorgen, seine Unfähigkeiten, sein Hang zum Jähzorn und alles das, was er im Leben schon falsch gemacht hat. Kein perfekter Mensch schaut ihm aus dem Spiegel entgegen. Und trotzdem betet er zu Gott: „Ich danke dir, dass du mich wunderbar gemacht hast“

Mein Wert hängt nicht an dem, wie ich aussehe und was ich kann. Sondern ich bin unendlich wertvoll, weil Gott mich gemacht hat. Das will ich mir immer wieder sagen, wenn ich mal wieder vor dem Spiegel stehe und mich selbst nicht leiden kann. Und dann, wenn ich verstehe: In mir steckt Gottes Liebe drin, dann kann ich anfangen, das eine oder andere zu verändern. Ich muss nicht trotzig an allem festhalten, was nicht ok ist.

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