Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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15JAN2021
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Was machen eigentlich die anderen Menschen, während ich mein Leben lebe?

Ich erinnere mich, dass mich die Frage schon als Kind fasziniert hat. Wir fahren mit dem Bus Richtung Stadt und ich male mir aus, was hinter verschlossenen Türen, hinter beleuchteten Fenstern passiert. Stelle mir vor, wie dieses fremde Leben aussieht. Was die Leute gerade jetzt essen, warum ein Kranz an der Haustür hängt, welches Programm sie gerade sehen. Und: Wie wäre mein Leben, wenn ich jetzt da wohnen würde?

In den Zeiten von Covid-19 hat die Frage für mich neu an Bedeutung gewonnen: Was machen eigentlich die anderen, während ich mein Leben lebe? Denn ich treffe kaum Menschen, sehe andere fast nur noch auf Distanz. Über Videoanrufe oder -konferenzen. Ich komme mir vor, als würde ich immer nur von außen in die Leben anderer Menschen sehen. Sehe über Video in fremde Wohnzimmer, sehe, wenn ich mal spazieren gehe, die Lichter der Fenster und dahinter die Schatten von Menschen, sehe Autos an mir vorbeirauschen, in denen Unbekannte sitzen.

Bei all dem aber merke ich, dass mein Interesse an anderen trotz aller Distanz größer wird. Ich mache mir mehr Gedanken über die Menschen als sonst. Bisher waren Kontakte und Begegnungen selbstverständlich. Jetzt werden mir schon die Schemen hinter den Fenstern wichtig. Weil ich weiß, dass wir alle in einer ähnlichen Lage sind. Mit der Situation ringen. Leben wollen. So, dass möglichst viele diese Zeit gut überstehen können.

Ich erlebe: Ich weiß weniger von anderen. Aber ich fühle mich ihnen trotzdem enger verbunden.

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