SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

04JAN2021
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Das Jahr 2021 hat begonnen. Meine Großmutter wäre in diesem Jahr hundert Jahre alt geworden. Ich erinnere mich gerne an sie und stelle mir dabei oft vor, wie ich wie früher bei ihr am Küchentisch sitze. Was hätten wir nicht alles zu ihrem hundertsten Geburtstag zu bereden. Allein, was sie in ihrem Leben an Wandel erlebt hat.

Ich erinnere mich noch, wie sie im Rückblick von ihrer Grundschule in der NS-Zeit erzählt hat. Die Kinder aller Klassenstufen wurden in einem Raum unterrichtet und haben miterlebt, wie ihr Lehrer einen Klassenkameraden mit Down-Syndrom vor allen anderen gepiesackt hat. Sie hat auch davon erzählt, wie es später als Erwachsene war, wenn sie in der Nachbarschaft nicht offen ihre Meinung sagen konnte. Man wusste einfach nicht, wer als Blockwart Informationen über die Nachbarn sammelt und den Behörden meldet. Von daher hat sie später genau gewusst, wie ein scheinbar verlorener Krieg ein großer Gewinn an Freiheit sein kann.

Neben diesen politischen Veränderungen hat sie auch technische und wissenschaftliche Entwicklungen erlebt und genutzt. Sie hat immer auch kritisch über die möglichen Folgen dieser Errungenschaften wie Fernsehen oder Computer nachgedacht. Sie hat sogar noch in den Anfängen miterlebt, wie sich das Klima verändert und wir haben über die Nutzung der Rohstoffe und Ressourcen diskutiert. Und jetzt, in ihrem hundertsten Lebensjahr hätte sie erlebt, wie Corona alles zum Stillstand bringt, wie viele Menschen mit Masken umhergehen und wie Wissenschaftler Impfstoffe entwickeln.

Wenn ich so in Gedanken mit meiner verstorbenen Großmutter auf die letzten hundert Jahre schaue, wird mir klar, was wir Menschen alles können. Im Guten wie im Schlechten. Und wie wir unseren Planeten verändern.. Wenn es nach der Bibel geht, sollen wir das auch. In den Erzählungen vom Ursprung der Welt heißt es, dass Gott uns Menschen die Erde anvertraut, damit wir sie bebauen, aber auch behüten.

Wir Menschen haben also einen Auftrag. Und wir können viel verändern. Der Blick auf diese letzten hundert Jahre zeigt das deutlich. Gerade im letzten Jahr ist ja offensichtlich geworden, wie schnell wir Menschen reagieren können, wenn die Not groß ist.

Was ist dabei meine Aufgabe? Was kann ich konkret tun? Ich bin kein Wissenschaftler, der einen Impfstoff entwickelt oder neue Antriebstechniken für Autos. Aber eine Sache, die ich zu einem positiven Wandel beitragen kann, ist Rücksicht zu nehmen. Besonders auf ältere Menschen wie meine Großmutter. Der Mund-Nasen-Schutz ist mich ein Symbol dafür: Als einzelner trage ich mit dazu bei, dass wir eine Gesellschaft werden, in der jeder auf den andern achtet und die schwächeren Menschen schützt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32370
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