SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Wann ist man alt? Man sei so alt, wie man sich fühlt, heißt es. Aber es gibt eben auch Anzeichen für das Alter, die man ganz unabhängig von seinen Empfindungen nicht übersehen kann. Da sprechen Enkelkinder von ihrem künftigen Beruf, denken daran, dass sie einmal selbst Kinder haben werden – und man weiß, dass man an ihrem Ergehen nur noch begrenzt oder gar nicht mehr wird teilnehmen können. Man liest Todesanzeigen in der Zeitung und entdeckt, wie viele Menschen im gleichen Alter oder viel jünger aus dem Leben gerufen wurden. Es sind immer wieder die Abschiede, die an die Begrenzung des eigenen Lebens erinnern: Man verlässt seinen Beruf, dankt ab, gibt Tätigkeiten auf, die einem lieb geworden waren. Irgendwann man fängt an, seine Bücher abzugeben. Man zieht in eine kleinere Wohnung, vielleicht in ein Heim. Die Welt, in der man lebt, wird kleiner. Und dann die Verluste! Menschen, die zu einem gehörten, werden einem entrissen. Kräfte schwinden, Krankheiten melden sich; was vor kurzer Zeit noch möglich war, geht auf einmal nicht mehr. Und dann kann die Zeit kommen, in der man seine Selbständigkeit verliert und ohne die Hilfe anderer nicht mehr leben kann. All dies erinnert an die Grenze der Lebenszeit, an die sehr überschaubare Strecke, die noch vor einem liegt, an den Tod, den einer „die letzte Unverschämtheit des Lebens“ nannte?

Wie kann man dieser „Unverschämtheit“ begegnen? Was kann helfen, die Last des Alters tragen und mit ihr zu leben? Was macht Hoffnung und Freude im Alter? Schon in jüngeren Jahren kann man lernen, sich an dem gegenwärtig Möglichen zu freuen. Es ist oft das Kleine, Unscheinbare, das aber doch das Leben reich macht: ein sonniger Tag, die Begegnung mit einem Menschen, ein gutes Gespräch, ein Buch, das durch Gedanken und Bilder, die beim Lesen entstehen, erfreut. Man kann wahrnehmen, wie schön es ist, Menschen zu haben, die zu einem gehören: Kinder, Enkel, Freunde. Man kann lernen, wie reich man das Leben Anderer machen kann – durch die Zeit, die man für sie hat, aber auch dadurch, dass man ihre Hilfe in Anspruch nimmt und sich gerne helfen lässt. Man kann das Abschiednehmen von so Vielem im wörtlichen Sinne als „Abdanken“ verstehen, als dankbares Zurückschauen auf Vergangenes. Man kann entdecken, dass die Begrenzungen des Alters auch Freiheit bringen: Man muss nicht mehr alles Mögliche leisten, muss nicht mehr Erfolge vorweisen und läuft nicht mehr so leicht Gefahr, sich selbst für das, was man tut, rechtfertigen zu wollen. Das Wichtigste ist aber die Zusage, die man beim Propheten Jesaja findet: dass Gott im Alter derselbe bleibt und einen trägt, wenn man grau wird. Es ist der Gott, von dessen Liebe nichts trennen soll, nicht einmal der Tod. Das ist der entscheidende Grund für Hoffnung auch im Alter!
https://www.kirche-im-swr.de/?m=3236
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