SWR2 Wort zum Tag

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30DEZ2020
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Geplante Obsoleszenz ist der Fachbegriff dafür, dass Dinge kurz nach Ablauf der Garantiezeit kaputt gehen. Jeder Waschmaschinenbesitzer weiß, wovon ich rede. Meine erste Waschmaschine hielt noch 15 Jahre, das ist aber heute ganz offensichtlich von den Herstellern nicht mehr vorgesehen. Aus ökologischen Gründen ist geplante Obsoleszenz natürlich ein Fiasko. Das hat übrigens schon die Krimischriftstellerin Dorothy Sayers erkannt. Sie schrieb in ihrem Buch „Glauben oder Chaos“: Eine Gesellschaft, in der man den Konsum künstlich anreizen muss, um die Produktion in Gang zu halten, ist auf Abfall und Vergeudung gegründet und gleicht einem Haus, das auf Sand gebaut ist.“ Ich kann Dorothy Sayers nur zustimmen. Allerdings gibt es meiner Ansicht nach tatsächlich eine sinnvolle Form geplanter Obsoleszenz. Das Ausmisten. Klingt zunächst paradox, ist aber stimmig. Ausmisten eine überzeugende Form der geplanten Obsoleszenz und nützt letztlich der Umwelt. Denn: Wer zu viel Dinge besitzt, verliert den Überblick. Wer keinen Überblick hat, der meint, er braucht noch etwas, auch wenn das gar nicht stimmt.

In diesem Sinn pflege ich seit einigen Jahren die gute Sitte, an mindestens einem Tag zwischen den Jahren auf- und auszuräumen. Bei dieser Aktion räume z.B. den Kleiderschrank aus und sichte den Bestand. Jedes – wirklich jedes! – Mal bin ich überrascht, was aus den Tiefen der Schubladen auftaucht. Einiges davon wandert in die Altkleidertonne, über das nächste freut sich meine Schwester oder eine Freundin, anderes bekommt bei mir eine ganz neue Würdigung und trägt sich mindestens so gut wie neugekauft. Für dieses Jahr habe ich mir zusätzlich den Werkzeugkeller vorgenommen. Ich weiß schon jetzt, dass es dabei der alten Rosenschere an den Kragen geht, die tatsächlich irreparabel kaputt gegangen ist. Irgendwann ist nämlich die Obsoleszenz für jeden Gebrauchsgegenstand angebrochen. Irgendwann ist jedes Material so ermüdet, dass keine Reparatur mehr helfen kann.

Bei uns Menschen ist das auch so. Das Leben währet 70 Jahre, und wenn es hoch kommt, sind es 80 Jahre, heißt es im 90. Psalm der Bibel. Auch eine Art geplante Obsoleszenz. Drastisch gesagt. Irgendwann geht mein Leben zu Ende, so wie dieses Jahr 2020 unaufhaltsam zu Ende geht. Ich glaube: eine Kultur des Auf- und Ausräumens hilft mir dabei, mich fröhlich meiner eigenen Vergänglichkeit zu stellen. Mein Leben ist ein großes Geschenk, mit eingeplantem Verfallsdatum. Jedes Teil, das ich beim Ausräumen in die Hand nehme, erinnert mich daran. Es wäre schade, wenn ich zu viel Lebenszeit mit Konsum verschwende. Dann hätte ich mein Lebenshaus tatsächlich auf Sand gebaut.

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