SWR2 Wort zum Tag

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29DEZ2020
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Die Tage nach Weihnachten zählen zu den sogenannten Rauhnächten. Viele magische Bräuche ranken sich um diese Zeit zwischen dem Weihnachtsfest und dem Erscheinungsfest am 6. Januar. Angeblich soll man in dieser Zeit nicht waschen oder Wäsche aufhängen und möglichst wenig das Haus verlassen, damit böse Geister keine Macht über die Menschen gewinnen. In diesem Coronajahr kommt einem letzteres plötzlich ziemlich bekannt vor. Es sind keine bösen Geister, vor denen man sich fürchtet. Es ist ein Virus, der einen dazu bringt, dass man – mehr oder weniger freiwillig – zu Hause bleibt. Doch irgendwie kommt einem dieser Virus tatsächlich fast wie ein böser Geist vor.

Ich gewinne jedenfalls gerade eine Vorstellung davon, wie ausgeliefert sich die Menschen früherer Zeiten gefühlt haben, wie angstvoll sie in der dunklen Jahreszeit in ihren engen Behausungen leben mussten.

Ich bin jedoch nicht bereit, die Angst in meine vier Wände einziehen zu lassen. Sicher: Ich kann und will das Virus nicht leugnen und muss vorsichtig sein. Doch dieser fiese Erreger hat nicht die Macht, mir jegliches Vergnügen an meinem Leben zu verbieten. Aber wie? Ich könnte positiv denken, und tatsächlich: Warum nicht in dieser Zeit den Schwerpunkt auf angenehme Tätigkeiten legen und die Wäsche einfach mal liegen lassen. Stattdessen gibt es Einiges, was ich auch zu Hause und mit Sicherheitsabstand tun kann. Wann habe ich das letzte Mal ein Buch von der ersten bis zur letzten Seite gelesen? Wann habe ich zuletzt ein Spiel gespielt, so wie früher, als das Kind noch klein war? Ich könnte mir eine Stunde in der Badewanne gönnen, meinetwegen sogar mit Kerzen und einem Glas Sekt. Da sich meine Angst vor bösen Geistern in Grenzen hält, kann ich sogar einem einsamen Spaziergang im Freien, dick eingemummelt, etwas abgewinnen. Das hat auch seinen eigenen Charme.

In jedem Fall sind mir einige große Gestalten der Kirchengeschichte ein Trost, die auch eine Zeit ihres Lebens im häuslichen Exil verbringen mussten und daran nicht zerbrochen sind. Im Gegenteil. Martin Luther hat während der Zeit auf der Wartburg das Neue Testament aus dem Griechischen ins Deutsche übersetzt, der Heilige Johannes auf Patmos das Buch der Offenbarung geschrieben. In ihren Fällen hat die Kreativität in Verbindung mit ihrem christlichen Glauben die bösen Geister der Einsamkeit überwunden. Und ist es nicht so, dass viele Menschen in dieser Krise ganz kreativ geworden sind und Ideen entwickelt haben? In der christlichen Vorstellung hat Kreativität etwas mit dem Heiligen Geist zu tun. Der möge uns alle heute beflügeln! Lassen wir uns überraschen!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32337
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