SWR1 Begegnungen

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25DEZ2020
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Katharina Müller Quelle: Privat.

Wenn man Katharina Müller noch nicht kennengelernt hat, ist das gewissermaßen ein gutes Zeichen. Katharina Müller trifft man nämlich: 

„Na ja, immer dann, wenn ein Kind krank ist.“

Denn Katharina Müller ist angehende Kinderärztin. Sie ist zuständig… 

„…für alle zwischen 0 und 20, würd ich mal grob sagen – die meisten sind natürlich irgendwie zwischen 0 und 18, aber es gibt eben auch viele chronisch kranke oder Kinder, die weiterhin in der Kinderklinik angebunden bleiben.“

Für die Gesundheit eines Kindes Verantwortung zu tragen, wiegt schwer. Auch für Katharina Müller: 

„Also wenn man sich konkret überlegt: Man sitzt da in der Ambulanz und sieht dort ein Kind und die Eltern haben natürlich irgendeine Sorge, sonst würden sie sich nicht auf den Weg machen, und dann muss man entscheiden, wie krank ist dieses Kind. Und diese Entscheidung muss man irgendwie treffen und das hat Konsequenzen: Entweder bleiben die Eltern ewig lang da in der Ambulanz hängen und machen 1000 Dinge irgendwie mit, die am Ende vielleicht unnötig sind, oder ich schick ein Kind mach Hause, was vielleicht dann doch kränker war und verpass irgendwas, was dann schwerere Folgen haben würde. Also jede Entscheidung hat da irgendeine Konsequenz. Und das, finde ich, ist schwer zu tragen.“

Die Notaufnahme und die Kinderkrankenstationen haben natürlich auch an Feiertagen wie Weihnachten geöffnet. Wie empfindet Katharina Müller Weihnachten in der Klinik? 

„Ich finde, schön! Natürlich sind diese Feiertage immer besondere Zeiten, zu arbeiten, und natürlich will jeder da auch gerne bei seiner Familie sein, aber man merkt irgendwie, die Familien, die diese Zeit ja auch unfreiwillig in dem Krankenhaus verbringen, weil die Kinder irgendwie krank sind, die sind auch immer sehr dankbar, dass man dann genau da da ist, und es herrscht trotzdem immer eine besondere Atmosphäre – also es ist anders, ob man jetzt am 1. Mai, der ja auch ein Feiertag ist, arbeitet als an Weihnachten. Also es ist schon eine bestimmte Stimmung, auch in der Kinderklinik.

Auf der Station, auf der die Kinder liegen, die zu früh zur Welt gekommen sind, herrscht für Katharina Müller sogar eine noch intensivere Stimmung:

„Und auf einer Frühchenstation – na ja – ich finde, da ist sowieso dieser Lebensanfang eh immer was sehr Besonderes. Man ist da irgendwie so sehr nah dran an diesem neuen Leben, was ja gerade so angefangen hat, und man ist sehr nah dran an dieser Hoffnung, die ja irgendwie für mich in jedem neuen Kind steckt und diese Zusage und diese Liebe, die diese Eltern für diese Kinder empfinden, das, finde ich, ist sehr weihnachtlich. Und das gibts da ja das ganze Jahr quasi gratis, aber das ist natürlich besonders schön dann an Weihnachten dort.

Wie Katharina Müller mit den Schattenseiten ihres Berufs umgeht und wie ihre Arbeit mit den Kindern und Familien sie verändert hat, erzählt sie uns nach der Musik.

Teil II: 

Als angehende Kinderärztin erlebt Katharina Müller Kinder, die wieder gesund werden und auch Kinder, die sterben. 

„Natürlich bedrückt mich das und ich trage das weiter mit mir – all die Kinder, die irgendwie gestorben sind. Also es ist auch nicht so, dass mich das die ganze Zeit beschäftigt oder ich da ständig darüber nachdenke, aber das ist halt ein Teil von mir geworden.
Aber ich glaub, man muss – oder ich für mich habe so das Gefühl – man muss schon auch ein bisschen aufpassen, dass einen das nicht erdrückt; also man muss irgendwie schon schauen, dass man zumindest einen Teil auch ab und zu irgendwo abgeben kann oder dass man wieder auch was findet, was irgendwie positiv ist.“

Deshalb will ich wissen, wo gibt Katharina Müller das abgibt, was sie zu erdrücken droht: 

„Also ich für mich hab da – würde ich sagen – auch verschiedene Wege: Es gibt schon irgendwie Freundschaften und Familie und Arbeitskollegen, wo man so einzelne Fälle irgendwie mal besprechen und erzählen kann – für viele gibt’s ja auch keine Lösung, aber das irgendwie auszusprechen, also das hilft mir und dann würde ich sagen, gebe ich das schon auch im Gebet ab: Die Dinge, die ich nicht lösen oder richten kann, da das Vertrauen zu haben, dass es da noch jemanden gib, der das dann eben kann. Das ist für mich heilsam und das ist für mich erleichternd.

Kratzt das nicht spürbar in der Seele, wenn ich eine Situation in der Klinik nicht lösen kann? 

„Und ja, zweifle ich da manchmal und natürlich bin ich da auch manchmal irgendwie ärgerlich, aber die Lösung ist deshalb für mich nicht gewesen, irgendwie das grundsätzlich in Frage zu stellen. Also für mich gibt es deshalb trotzdem keine andere Lösung, als darauf zu vertrauen, dass es jemanden gibt, der eben größer ist als ich und der das in einem anderen Zusammenhang sieht, in dem das dann wieder Sinn macht. Das ist die Hoffnung und das brauche ich schon, um das zu machen. Weil, sonst kanns schon auch ein bisschen trist sein.“

Auch Tränen gehören zum Alltag von Katharina Müller. Dafür schämt sie sich auch nicht. Und augenzwinkernd fügt sie noch hinzu: 

„Bin ja kein Mann – ich darf ja weinen. Nee, ich glaub nicht, dass man sich dafür schämen braucht.“

Und als Mann sei mir gestattet zu sagen: Wenn ich mir vorstelle, die heilige Freude oder den tiefen Schmerz einer Familie am Krankenbett des eigenen Kindes mitzuerleben, dann weine auch ich von Herzen gerne.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32327
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