Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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15JAN2021
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Mein Großonkel und ich hatten zu Beginn des neuen Jahres immer ein schönes Ritual: Wir haben Geburtstage und andere wichtige Gedenktage vom alten in den neuen Kalender übertragen. Das hat oft Stunden gedauert, denn mit den Namen waren Erlebnisse verbunden, an die er sich erinnert hat. Und ich habe die Geschichten aus seiner Ministrantenzeit und wie er als junger Mann in die Welt gezogen ist und schließlich sein eigenes Geschäft aufgebaut hat, gern gehört. Manchmal gab es dabei auch traurige Momente, wenn einer von den lieben Freunden oder Verwandten im Lauf des vergangenen Jahres verstorben war. Dessen Name wurde dann mit einem Kreuz markiert und auch der Sterbetag festgehalten.

Inzwischen habe ich diese Tradition für mich übernommen. In einer ruhigen Stunde im Januar übertrage auch ich den Kalender.

Klar könnte ich mir auch einen immerwährenden Geburtstagskalender zulegen.

Das würde die Sache erleichtern und verkürzen. Aber es würde mir auch etwas Kostbares nehmen. Dieses Innehalten, ist mir wichtig, zu schauen, wer gehört alles zu meinem Leben, wer hat einen Platz in meinem Herzen, wer kommt neu dazu, von wem musste ich mich verabschieden.

In den letzten Jahren sind bei uns in der Groß-Familie einige Kinder geboren worden, das ist schön und tröstlich, zumal wir auf der anderen Seite auch mehr und mehr Tote zu beklagen haben. Auch die gehören weiter zu meinem Leben. Aber anders.

Wenn ich die Geburtstage übertrage, merke ich, dass ich mit dem einen oder anderen noch ganz frisch Erlebnisse im vergangenen Jahr verbinde. Bei manchen herrscht aber auch schon seit längerer Zeit Funkstille.

Ob ich sie dennoch in den neuen Kalender übernehmen soll. Mich mal wieder melden? Oder ist die gemeinsame Zeit einfach vorbei?

Irgendwie habe ich eine gewisse Scheu davor, sie auszumustern. Vielleicht, weil sie einfach zu meinem Leben dazugehören, auch wenn der Kontakt eingeschlafen ist oder die Beziehung auf Sparflamme lebt. Das liegt ja oft auch an mir selbst oder der Tatsache, dass ich nicht alle Beziehungen gleich intensiv hegen und pflegen kann.

Wenn ich an meine Beziehung zu Gott denke, dann bedeutet es mir viel, dass er so etwas wie einen immerwährenden Kalender zu haben scheint. Dass bei ihm niemand herausfällt und er mir zusagt: „Ich habe dich in meine Hand eingeschrieben, du gehörst zu mir“. Das macht mich dankbar. Und es bestärkt mich darin, niemand, der mir je etwas bedeutet hat, aus dem Kalender geschweige denn meinem Leben zu streichen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32322
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