SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

22DEZ2020
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„Ich glaub‘, der kann mich so gar nicht leiden!“ Das hat mir meine Freundin Anna nach einem langen Arbeitstag über ihren Chef erzählt. Vor ein paar Wochen.

Anna liebt ihren Job. Aber am Ende des Tages bleibt immer wieder das aus, auf was sie so sehr hofft: ein Lob ihres Chefs. Und sie ist sich sicher: Es muss an ihr liegen.

Beim Zuhören denke ich mir: Wie kann dieser Chef nur so blind sein. Anna ist klug, wahnsinnig engagiert und sympathisch. An ihr kann es ganz bestimmt nicht liegen.

Deshalb frage ich sie: Wie erlebst dudich denn bei der Arbeit? Hättest du dich selbst gerne als Mitarbeiterin? Nach einer kurzen Pause grinst Anna und sagt: „Ja, ehrlich gesagt schon!“ Sie ist immer pünktlich, erledigt ihre Arbeit gewissenhaft, versteht sich super mit ihrem Team und bringt dort auch regelmäßig neue und gute Ideen ein. Sie würde sich selbst als Mitarbeiterin ganz sicher gut leiden können.

Ich finde: Genau das ist erst einmal das Wichtigste: Bevor wir uns fragen: Mögen mich die Anderen überhaupt? Finden die mich gut? Und finden die das gut, was ich mache? Ist doch die viel wichtigere Frage: Finde ich mich selbst gut? Und kann ich hinter dem stehen, was ich so mache? Für mich hat das gar nichts mit Egoismus oder Überheblichkeit zu tun – sondern mit Selbstliebe! Es ist nicht nur wichtig, dass die Anderen mich gut finden, sondern ich mich auch selbst mag. Ich verbringe das ganze Leben so vielen Stunden, Tage, Monate und Jahre mit mir selbst – dabei möchte ich ungern ständig an mir selbst rumnörgeln, sondern gerneZeit mit mir verbringen. Ich möchte mich mit mir selbst anfreunden: Mich gut kennen, über meine Macken lachen und mir selbst verzeihen, wenn ich mal was verbockt habe. Ich will zufrieden mit mir sein – mit allem, was zu mir gehört.

Und wenn meine Freundin Anna das ist – zufrieden mit sich und ihrer Arbeit – dann darf sie sich das auch eingestehen. 

Ich würde jetzt natürlich gerne erzählen, dass Anna dann doch am Ende ein Lob von ihrem Chef bekommen hat. Leider ist das bisher nicht passiert. Aber das Gute ist, dass Anna inzwischen mit ihrer Arbeit zufriedener ist; sie sich mehr auf das fokussiert, was sie gut an sich findet und weniger auf das, was vielleicht andere nicht an ihr mögen könnten. Und weil sie weiß, dass sie das Lob eigentlich verdient hätte, möchte sie das bei ihrem Chef demnächst auch ansprechen.

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