SWR2 Wort zum Tag

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02JAN2021
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Es ist kein schlechter Gedanke, ein Jahr unter ein bestimmtes Motto zu stellen. Wir kennen das zum Beispiel im Blick auf Gedenkereignisse und Jubiläen besonderer Geistesgrößen oder Kulturschaffender: das Reformations- und Lutherjahr 2017, das Hölderlin- oder Beethovenjahr 2020; in diesem Jahr Friedrich Dürrenmatt oder Dante Alighieri.

Ein Thema oder Motto für ein Jahr gibt auch die sogenannte „Jahreslosung“ aus, das ist ein per Los gezogenes Bibelwort. Für das Jahr 2021 wurde als biblisches Motto ein Vers aus dem Lukasevangelium ermittelt, ein Zitat Jesu: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!“

Wenn Jesus vom „Vater“ spricht, meint er in der Regel Gott. Doch „barmherzig“ oder „Barmherzigkeit“ – das ist in unserem Sprachgebrauch ein aus der Mode gekommenes Wort, ähnlich wie „Gnade“ oder „Milde“. Was soll das sein?

Am ehesten begegnen uns Spuren dieser Begriffswolke noch im juristischen Kontext, wenn von einem „gnädigen Urteil“ die Rede ist oder davon, dass ein Richter bei seiner Entscheidung „Milde“ und „Barmherzigkeit“ walten ließ – oder aber im Blick auf radikale ethisch motivierte Lebensentwürfe wie zum Beispiel bei Mutter Theresa, die als Vorbild an Barmherzigkeit beschrieben wird.

Eher gebräuchlich ist da schon das Gegenteil: „unbarmherzig“. Und auch das ist eine Zeitansage, dass wir offenbar leichter mit dem Attribut „unbarmherzig“ umgehen als mit dem Wort „barmherzig“.

Schaut man in die Bibel, dann ist die Rede von Barmherzigkeit keine Randerscheinung, sondern geradezu zentral, auch und gerade im Alten Testament. In der Bibel hebräischer Sprache verweist die Wortwurzel auf den Mutterleib, also den Ort, an dem neues Leben empfangen wird und entsteht. Hier ist das Organ, mit dem Barmherzigkeit empfunden und geübt wird. Barmherzigkeit kommt aus dem Bauch, und sie erweist sich gegenüber dem kleinen, dem jungen, dem sich erst noch entfaltenden Leben.

Gottes Barmherzigkeit ist ein Vorschuss seiner Liebe gegenüber unserem noch nicht gelebten Leben. Am Beginn eines neuen Jahres ein wertvoller und ermutigender Gedanke! Von solch einer zuvorkommenden Haltung seien auch unsere Beziehungen geprägt; nicht nur in der Begegnung mit anderen, sondern auch mit uns selbst: „Seid barmherzig!“

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