SWR2 Wort zum Tag

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17DEZ2020
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Es ist der 17. Dezember 1943, heute vor 77 Jahren, als Dietrich Bonhoeffer einen Weihnachtsbrief an seine Eltern schreibt. Wegen seiner Tätigkeit im Widerstand war der junge Pfarrer von den Nazis ins Gefängnis geworfen worden. Seine Verurteilung zum Tod vor Augen schreibt er:
„Liebe Eltern! Es bleibt mir wohl nichts übrig, als Euch für alle Fälle schon einen Weihnachtsbrief zu schreiben. Ich brauche Euch nicht zu sagen, wie groß meine Sehnsucht nach Freiheit und nach Euch allen ist.
Aber Ihr habt uns durch Jahrzehnte hindurch so unvergleichlich schöne Weihnachten bereitet, dass die dankbare Erinnerung daran stark genug ist, um auch ein dunkleres Weihnachten zu überstrahlen.“

„In solcher Zeit“, schreibt Bonhoeffer, „erweist es sich eigentlich erst, was es bedeutet, eine Vergangenheit und ein inneres Erbe zu besitzen, das von dem Wandel der Zeiten und Zufälle unabhängig ist. Das Bewusstsein von einer geistigen Überlieferung, die durch die Jahrhunderte reicht, getragen zu sein, gibt einem das sichere Gefühl der Geborgenheit.“

Unsere Situation heute ist, Gottseidank, eine andere. Aber auch wir stehen vor einem Weihnachten, das ganz anders ausfallen wird als sonst. Weniger Kontakte, weniger Festbeleuchtung, weniger Weihnachtsstimmung.
Aber, denke ich, vielleicht ist dieses Weniger in anderer Hinsicht auch ein Mehr. Was Dietrich Bonhoeffer in ungleich schwererer Zeit schreibt, wird mir jedenfalls zum Anstoß, darüber nachzudenken, was dieses Mehr sein könnte.

Vielleicht so: dass wir uns Zeit nehmen für dankbare Erinnerung. Uns fragen: was hat mir Kraft gegeben in diesem Jahr? Wer hat mich begleitet, ermutigt, getröstet? Wo liegen die hellen Erfahrungen, die mir helfen, auch ein dunkles Weihnachten zu überstehen?
Und: Gibt es für mich so etwas wie ein inneres Erbe, eine geistige Überlieferung, die mir das Gefühl der Geborgenheit schenkt?

Ein Jahr nach diesem Weihnachtsbrief an seine Eltern hat Bonhoeffer das Gedicht geschrieben „Von guten Mächten wunderbar geborgen“. Da heißt es: „Noch drückt uns böser Tage schwere Last./Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen/das Heil, für das du uns geschaffen hast.“

Das ist mein Wunsch für Weihnachten in diesem Jahr: dass unsere aufgeschreckten Seelen Ruhe finden und Frieden.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32248
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