Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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14DEZ2020
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Es bleibt mir nichts anderes übrig, ich muss warten. Der Advent ist die Zeit des Wartens – so sagen wir Theologen gerne. Dann ist das Advent-pur, in diesem Jahr. Ich warte sehnsüchtig. Nicht auf Weihnachten, nein, ich warte – wie wohl die meisten - auf das Ende der Pandemie oder zumindest auf Lockerungen in den Beschränkungen. Keine Frage, sie müssen sein, aber wann sind sie endlich vorbei? Herr Gott, ich möchte, dass das Leben wieder normal wird oder zumindest normaler. Dass ich mich wieder mit Freunden treffen kann; Menschen, die mir lieb sind, auch wieder umarmen darf; in der Kirche singen darf – laut und kräftig. Restaurant, Kino und Theater besuchen darf - all das, was in der Adventszeit im letzten Jahr noch so selbstverständlich war.

„O komm, O komm Emmanuel, mach frei dein armes Israel.“ Heißt es in einem alten Adventslied. Das Volk Israel ist in der Gefangenschaft, es schreit seine Not heraus. Emmanuel heißt übersetzt: Gott ist mit uns. Ja wo bist Du denn, Gott, Emmanuel, hier und heute in der Pandemie? 

Ich gebe zu, dieses Warten fällt mir schwer. Ich schwanke zwischen Ungeduld und Trägheit, zwischen Aktionismus und Passivität. Und ja, manchmal tu ich mir auch leid. Vor einem Jahr noch alle Freiheiten der Welt und jetzt derart eingeschränkt. Wo ich überall hinreisen wollte, jetzt da ich in Rente bin und Zeit habe. Und dann merke ich, dass ich auf hohem Niveau jammere. Ich sitze immer noch im Warmen, habe reichlich und gut zu essen, vom Trinken ganz zu schweigen. Ich kann mit all meinen Freunden per Telefon oder Video kommunizieren. Mit den Kindern und Enkeln whatsappen. Kann im Wald spazieren gehen, Bücher lesen, auf der Couch sitzen und fernsehgucken.

O komm, O komm Emmanuel, mach frei dein armes Israel. Wo er jetzt ist, der Gott mit uns? Ich hoffe auf den Intensivstationen in den Krankenhäusern, bei den Einsamen in Pflegeheimen und Wohnungen und bei den Hungernden in den Flüchtlingslagern. Dort wird er auf alle Fälle noch mehr gebraucht als bei mir auf der Couch vor dem Fernseher.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32210
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