SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

11DEZ2020
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In einer Buchhandlung bleibt mein Blick an einem besonderen Buch hängen. An einem dicken Bildband. Als Titel ein verblichenes Foto. Es muss aus den 20er oder 30er Jahren stammen. Darauf zu sehen: Zwei Männer in Arbeiterlatzhosen, die sich im Arm halten. Und sie halten sich anders im Arm als zwei Freunde. Der ganze Bildband zeigt Fotos von Männer-Paaren, die sich lieben. Das Besondere daran: die Fotos sind teilweise über 150 Jahre alt. Ich hätte nicht gedacht, dass es schon zu dieser Zeit Bilder homosexueller Paare gegeben hat. Den beiden Autoren, zwei Amerikanern, muss es ebenso gegangen sein. Sie hatten die ersten Bilder dieser Art vor 20 Jahren zufällig auf einem Flohmarkt entdeckt. Und dann haben sie begonnen, gezielt danach zu suchen. Auf Reisen, auf Flohmärkten, in alten Fotosammlungen, in Archiven und übers Internet. Die schönsten dieser Fotos sind in jenem Bildband veröffentlicht. Es ist berührend, darin zu blättern. Weil es einfach schöne Fotos sind! Männer, denen man ihr Glück ansieht, in liebevoller Haltung zueinander, mit sanftem Blick: Der eine gehalten im Arm des Anderen, ein nächster auf dem Schoß des Partners, der dritte Wange an Wange mit dem Freund. 350 Fotos haben die Autoren für das Buch ausgesucht. Und wenn sie sich nicht sicher waren, ob die Männer auf dem Bild nur Freunde oder vielleicht doch ein Liebespaar sind, haben sie eine ganz einfache Regel angewendet. „Wir schauen ihnen in die Augen. Es gibt diesen unverwechselbaren Blick, den zwei Menschen haben, wenn sie sich lieben. Das kann man nicht spielen. Wenn sie es spüren, dann können sie es nicht verbergen“.

Dass es diese Fotos gibt, ist außergewöhnlich. Dass sie gefunden wurden ebenso. Denn vor 100 Jahren war die Liebe zwischen Männern noch ziemlich gefährlich, auch in Deutschland und Europa. Leider gilt das vielerorts bis heute; in mehr als 30 Staaten ist es gesetzlich verboten und wird sogar verfolgt. In afrikanischen Ländern, in Russland und Arabien zum Beispiel.

Dass diese Zeitdokumente trotz allem existieren zeigt aber eines: Liebe, echte, innige Liebe lässt sich nicht verstecken. Zu keiner Zeit. In keiner Gesellschaft.

Nur noch wenige Tage, dann ist es wieder soweit – wir feiern das große Fest der Liebe. Weihnachten. Wir werden es anders feiern als je zuvor. Familie, Freundschaft, Beziehungen – in diesem Jahr haben wir ihre Bedeutung wieder neu schätzen gelernt. Die Botschaft von Weihnachten aber ist von Beginn an dieselbe geblieben: Liebe. Ohne Liebe gelingt kein Leben. Und diese Botschaft - die ist für alle Menschen da.

 

„Loving. Männer, die sich lieben“ Elisabeth Sandmann Verlag

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32166
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