SWR1 Begegnungen

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06DEZ2020
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Hartmut Rosa © juergen-bauer.com

Annette Bassler trifft Prof. Hartmut Rosa, Professor für Soziologie an der Universität Jena

Advent als Herausforderung
Unser Alltag wird immer schneller. Und das hat Folgen: uns kommen dabei berührende Begegnungen und sinnerfüllte Momente abhanden. Wir verlieren die „Resonanz“ mit anderen- so der Titel seines Buches. Und jetzt kommen durch Corona auch noch Kontaktbeschränkungen dazu. Deshalb kann ich mit dem Professor für Soziologie in Jena nur telefonieren. Was mich doch ein bisschen wehmütig macht. Hartmut Rosa findet dafür kluge Worte

Was da verloren geht ist das, was wir „Ko-präsenz“ nennen. Gemeinsam in einem Raum zu sein bedeutet: ein gemeinsames Bewusstsein der Atmosphäre da drin zu haben, der Luft, der Geräusche, also man teilt eine Situation und wenn ich mit Ihnen über einen Bildschirm rede, dann teile ich nicht die Situation gerade nicht, was mich gerade dazu zwingt, die Situation auszublenden. Die Ermüdung, die daraus hervorgeht, zeigt uns deutlich, dass wir leibliche Wesen sind.

Das habe ich mir gar nicht so klar gemacht. Ich habe nicht nur einen Körper, den ich fit halten muss. Ich bin auch Körper. Und der prägt mein Lebensgefühl und mein Denken. Deshalb muss ich mehr als sonst auf mein seelisches Gleichgewicht aufpassen. Auch ohne Angst vor Jobverlust. Woher sie kommt, unsere Lebensenergie, darüber denkt Hartmut Rosa schon eine Weile nach.

Ich unterrichte grade zur Frage „kann man das auch als soziale Eigenschaft denken“, nämlich im Hinblick darauf, dass Energie entsteht in der Interaktion, in der Begegnung mit Menschen, im gemeinsamen Tun. Dann ist Energie nicht meine Energie oder Ihre Energie, sondern es ist etwas, was zwischen uns entsteht.

Immer wieder erlebe ich das. Wie die Funken sprühen, wenn ich mit anderen über ein Problem nachdenken. Energie zwischen uns. Arbeit, die belebt. Vielleicht müssen wir in Zukunft das „Miteinander“ noch viel wichtiger nehmen als bisher. Hartmut Rosa ist überzeugt:

Ohne Interaktion, ohne aktive Begegnung, die immer auch ein leibliches Moment hat- wir sind leibliche Wesen- ohne die können wir dauerhaft nicht existieren. 

Aber- zum Glück gibt es in gewisser Weise auch Ersatz für die leibliche Begegnung. Hartmut Rosa wollte mit mir telefonieren. Lieber als per Video reden.

Darüber hinaus ist es so, dass wir dieses Moment der Berührung auch anders kennen, mit Haustieren zum Beispiel oder eben durch Musik, die uns berührt, durch ein Buch aber dieses Moment- ich nenn das manchmal auch „Verflüssigung unsres In-der-Welt-Seins“, wo man sich plötzlich wieder lebendig spürt, wo man sich verbunden fühlt, das kann man schon auf andere Weise versuchen, in sich aufzubauen und um sich aufzubauen.

Und für die, die in diesen Zeiten auch noch um ihre wirtschaftliche Existenz bangen müssen, hat Hartmut Rosa einen wichtigen Rat.

Es ist nicht individuelles Versagen, dass man jetzt in eine schwierige Lage gerät, sondern es ist eine Art von kollektivem Verhängnis. Was natürlich bedeutet, dass auch das Gemeinwesen, dass wir alle solidarisch sein müssen, aber es entlastet ein bisschen von dem Versagensgefühl, was ganz ganz wichtig ist.

Advent als Versprechen
Hartmut Rosa hat für seine Bücher und Vorträge viele Preise bekommen. Der 55 jährige unterrichtet und forscht an der Uni Jena als Professor für Soziologie. An seiner Sprachmelodie habe ich ihn sofort als Badener erkannt. In seinem Heimatdorf hat er als Jugendlicher sogar Orgel gespielt. Er kennt sich aus in der Bibel und im Gesangbuch. Von Weihnachtsliedern kann er gar nicht genug bekommen.

In gewisser Weise bin ich, seit ich ein Kind war, Advents- und Weihnachtsfan. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie ich als kleiner Junge total überwältigt war von einem Weihnachtsbaum in unserem Dorf. Da gabs nur einen draußen, einen elektrischen. Und ich bin auf dem Schulweg immer einen Umweg gegangen, um das anzuschauen, jeden Morgen eigentlich und stand da immer staunend davor.

Dieses kindliche Staunen ist vielen Erwachsenen abhandengekommen. Weil es im Advent oft zu viel war: zu viele Lichter, zu viel Arbeit, zu viele Geschenke, zu viel Rummel. In diesem Jahr ist das anders. Schmerzlich für viele. Aber es liegt auch eine Chance darin.

Ich bin echt gespannt darauf zu sehen, was dieses Jahr passiert, wenn eben keine großen Weihnachtsmärkte mehr stattfinden und wenn wir die soziale Distanz einhalten müssen. Ob dann plötzlich diese eine Kerze im Fenster oder dieses verlorene Lied, das von irgendwo tönt, tatsächlich nochmal diese Innigkeit herstellen kann.

Denn Weihnachten ist das Fest, an dem in der Tiefe der Seele etwas zum Schwingen kommt.

Aus meiner Sicht ist eigentlich Weihnachten ein Resonanzversprechen. Also weil die Idee von Weihnachten, die ganze Praxis von Weihnachten hängt an der Vorstellung, dass am Grund meiner Existenz einer ist, der mich hört und der mich sieht und der mich meint und dass ich nicht ins Leere rufe in meiner Existenz, sondern eine entgegenkommende Antwort erfahre.

Vielleicht sind wir an Weihnachten deshalb so sensibel. Wir gehen zurück auf den Anfang. Zu dem Kind in uns, das mit einem Schrei und mit der Sehnsucht nach Resonanz geboren worden ist.

Diese Grunderfahrung erfahren wir natürlich schon als Kind. Ich glaube, ein Säugling wird zu einem Subjekt, in dem Moment, wo es sich erkennt in den Augen der Mutter oder des Vaters, wo es plötzlich feststellt, da gibt’s eine Beziehung und ich kann das Andere auch erreichen und es meint mich, es ruft mich, es hält mich und trägt mich.

Hartmut Rosa nennt dies „die reinste Form der Resonanz“. Eine Beziehung, geprägt von tiefer, wechselseitiger Liebe. Und darum geht es in der Weihnachtsgeschichte: Das göttliche Kind wird arm und schutzlos geboren. Dort im Stall von Bethlehem. Aber der Glanz der göttlichen Liebe, der Glanz reinster Resonanz, der leuchtet umso heller. So gesehen findet Hartmut Rosa Weihnachten geradezu logisch.

Und deshalb wundert es mich eigentlich nicht, dass diese Grundidee diese basale Erfahrung oder Einsicht, dass am Grunde unserer Existenz auch eine Antwortbeziehung stehen kann, dass die symbolisiert wird mit Hilfe eines Kindes scheint mir eigentlich naheliegend.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32161
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