Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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03DEZ2020
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„Seht euch vor! Bleibt wach! Seid wachsam!“ Selten ist ein Bibeltext so eindringlich, so direkt wie der, den ich am Sonntag im katholischen Gottesdienst gehört habe.  Er rüttelt mich regelrecht an der Schulter. Fast meine ich, das besorgte Gesicht des Evangelisten Markus über mir zu sehen. Der hat Angst davor, dass ich einschlafe und den entscheidenden Moment verpasse. „Nicht einschlafen, wach bleiben!“ Ja, geht denn das überhaupt? Irgendwann muss ich doch auch mal schlafen dürfen, muss ich mich erholen können. Genau so ist es. Deshalb ist es gut, wenn ich nicht alleine bin, andere Menschen um mich herum habe. Wenn die einen schlafen, wachen die anderen. Das klappt sogar bei Religionen.  In 2000 Jahren christlicher Geschichte ist oft genug tief gepennt worden. Aber zum Glück waren da immer wieder hellwache Leute, die ganz laut „Hallo“ gerufen haben. Denn  sie hatten gemerkt, dass etwas gewaltig falsch lief bei Mutter Kirche. Martin Luther war so einer, oder 300 Jahre vor ihm Franz von Assisi. „Seid wachsam!“ hat mitten in einer der dunkelsten Zeiten Europas, im dreißigjährigen Krieg, der Jesuitenpater Friedrich Spee gerufen und gegen den Wahnsinn der Hexenverfolgung angekämpft. Von ihm stammt eines der bekanntesten Adventslieder:  „O Heiland reiß die Himmel auf, herab, herab vom Himmel lauf.“  Ich kenne kein Lied, dass eindringlicher und  direkter die Not und den Frust des Wächters ausdrückt, der sieht, wie um ihn herum alles den Bach runter geht. Im Advent 2020, der ganz im Zeichen der Pandemie steht, passt das Lied gut. Es beschreibt mit alten Worten, was aktuell ansteht: aufzupassen, auf sich und andere. Und nicht nur auf den Impfstoff sondern –wie Friedrich Spee im Lied - auch darauf zu hoffen, dass Gott uns an der Hand hält. „O komm, ach komm vom höchsten Saal, komm tröst‘ uns hier im Jammertal“.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32112
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