SWR3 Gedanken

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26NOV2020
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Ich stehe im feuchten Novemberniesel auf dem Bahnsteig und warte so vor mich hin. Ein paar Gleise weiter steht eine Rangierlok. Plötzlich fährt sie oben auf dem Dach diesen Bügel aus. Als er die Oberleitung berührt, da zischt´s und funkt´s ordentlich, und dann fährt die Lok los.

Ich habe gleich mal nachgeschaut, wie das Ding da auf dem Dach heißt. „Pantograph“ verkündet mein Handy. Der Pantograph drückt gegen die Oberleitung und nimmt den Strom für die Lok ab.

„Unnützes Wissen“, könnte man meinen. Mir fällt aber auf, dass dieses Wort „Pantograph“ so ähnlich klingt wie „Pantokrator“. Und so nennt man Darstellungen von Jesus – meistens in Kirchenkuppeln, wo er wie ein König dasitzt - mit viel Gold gemalt.

Vielleicht auch unnützes Wissen - aber ein witziger Zufall. Und gleichzeitig fallen mir noch mehr Parallelen ein zwischen Pantograph und Pantokrator oder zwischen Oberleitung und Gott: Viele Menschen sehnen sich irgendwie nach Gott, nach Ruhe oder nach etwas, das sich nicht genau beschreiben lässt. Wenn ich diese Sehnsucht spüre oder auch wenn ich Stoßgebete zum Himmel schicke, dann ist das, wie wenn ich mich nach oben ausstrecke. Vielleicht hoffe ich auf eine Art Oberleitung, die mir Power gibt.

Und dann ist da die Oberleitung, der Oberboss, der sich auch ganz klein machen kann und sich über mein Leben beugt. Manchmal lässt er´s funken, und manchmal auch flutschen. Und wenn die Verbindung gekappt wird, dann geht manchmal auch gar nichts mehr.

Deshalb ist es gut, diese Verbindung nach oben zu pflegen. Etwas Öl für den Pantographen oder etwas Zeit für den Pantokrator. So, dass die Energie wieder fließen kann.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32088
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