Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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26NOV2020
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Als er 14 war, freute er sich darauf, bald 16 zu werden. Als er 16 war, konnte er seine Volljährigkeit kaum erwarten. Die Zwanziger waren eine gute Zeit, frei und unbeschwert. Es folgten Kinder und die Erwartung, dass sie größer und selbständiger werden. Nun, mit Mitte vierzig, hat sich etwas verändert. Holger wartet immer weniger. Oder besser: er erwartet immer weniger – dafür nimmt er Abschied.

Irgendwann, so hat er mir gesagt, wurde ihm klar, dass das Warten auf das was kommt ihm ganz die Sicht auf das Jetzt versperrt hat. Erst jetzt, in der Mitte seines Lebens – er meinte so nett „Nenn es halt Midlifecrisis“ – wurde ihm klar, dass er nun eher auf das Ende „wartet“. Er wirkte gar nicht ängstlich oder depressiv, als er das gesagt hat.

Ich denke er meinte damit, dass alles, worauf er früher gewartet hat nun erreicht ist und sich in der eigenen Biographie jetzt der Blick auf das eigene Ende richtet – auch wenn er hofft, dass es noch lange dauert bis dahin.

Außerdem ist ihm klar geworden, dass er sich doch von einigem verabschieden muss: „Jüngster Minister werde ich nicht mehr. Bester Fußballspieler auch nicht. Von all dem kann ich Abschied nehmen“.

Aber auch das klang aus seinem Mund irgendwie nicht traurig, eher realistisch und ruhig. Als ich ihn darauf angesprochen habe, lächelte er und sagte: „ Ja, weißt du, erst habe ich viel gewartet – nun ist einiges schon vorbei – jetzt kann ich vielleicht lernen das „Jetzt“ zu sehen. Das hier und jetzt ohne die Verantwortung für das Gestern und das Morgen zu vergessen.“

Ich war ziemlich beeindruckt. Früher hatte ich Holger eher gehetzt, ja getrieben erlebt. Jetzt klangen seine Worte eher schon weise, ja er hatte etwas Entspanntes. Und ich habe mich an den Prediger Salomo erinnert. Seine Worte sind in der Bibel überliefert: „Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde“ (Prediger 3,1).

Es gibt für alles die richtige Zeit. Diese Weisheit macht das Abschiednehmen leichter. So kann man intensiver in der Gegenwart leben.

Bei Holger jedenfalls scheint es so          und gerade deshalb haben wir seinen 45sten wild und ausgelassen gefeiert. Als wenn es kein Morgen gäbe – so wie früher.

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