Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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23NOV2020
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Heute vor 100 Jahren kam der Dichter Paul Celan zur Welt in Czernowitz in der Bukowina. Er war Jude – wie seine Eltern. Als 1941 deutsche Truppen in seiner Heimat einmarschiert sind, wurde die Familie zunächst in ein Ghetto gesperrt. Etwas später kam Celan in ein rumänisches Arbeitslager, seine Eltern wurden ins KZ deportiert.
Als er nach Kriegsende zurückkehrte, fand er das Haus seiner Eltern leer. Der Vater war im Lager ums Leben gekommen, die Mutter wurde erschossen.

Dieser Verlust und die unvorstellbaren Schrecken, die Celan in den Ghettos und Lagern gesehen hatte, haben ihn nie wieder losgelassen. Er hat sich gefragt: „Wie konnte so etwas möglich werden? Wo war da Gott?“. Auch in seinen Gedichten, stellt er sich diese Frage. Eines berührt mich besonders. Da heißt es: 

Niemand knetet uns wieder aus Erde und Lehm,
niemand bespricht unsern Staub.
Niemand.

Für mich heißt das: Gibt es etwa gar keinen Gott, der die Menschen geschaffen, geknetet hat? Ist da einfach niemand? Denn: Wenn es einen Gott gibt, dann hätte er doch diese Verbrechen verhindern müssen.

Immer wieder stellen sich Menschen diese Frage. Ich mir manchmal auch, wenn ich an die Kriege und Verbrechen denke, die noch heute überall auf der Welt begangen werden. Eine echte Antwort darauf finde ich nicht.

Aber einen Trost: Ich glaube als Christin daran, dass Gott das Leid kennt. Er hat ja selbst mitgelitten, als sein Sohn am Kreuz gestorben ist. Ich glaube deshalb: Gerade in der größten Not ist Gott den Menschen ganz nah.

Paul Celan konnte das nicht glauben. Aber trotz allem dichtet er weiter: „Gelobt seist du, Niemand.“ Er spricht diesen Niemand direkt an, als ob das sein Name wäre, als ob da doch einer wäre. Paul Celan nennt ihn nicht Gott, aber er hofft, dass dieser Niemand ihn hört und das Leiden der Menschen sieht, sodass sie mit all dem Schrecklichen in der Welt nicht allein sind. Vielleicht ist schon das sein Trost.

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32065
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