SWR2 Wort zum Tag

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17NOV2020
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Manchmal mache ich Mist. Sie vermutlich auch. Zur Zeit vielleicht besonders: Der graue November, die Sorge um die Gesundheit, die Kontaktbeschränkungen – das trägt nicht gerade dazu bei, die Stimmung und die Leistungsfähigkeit zu heben. Da rutscht schnell eine spitze Bemerkung raus, die jemanden verärgert – oder es passieren Fehler, unter denen andere zu leiden haben. Und das Schlimme ist: Manchmal sieht man es kommen – und kann es trotzdem nicht verhindern.

Manchmal bauen wir Mist – und können nichts dagegen tun. Sehr tröstlich ist für mich deshalb das, was der Mystiker Johannes Tauler im 14. Jahrhundert geschrieben hat. Auch er hat sich Gedanken über den Mist gemacht, den wir Menschen produzieren. Und ist dabei zu einer schönen Erkenntnis gekommen: „Das Pferd macht den Mist in dem Stall“, schreibt Tauler, „und obgleich der Mist Unsauberkeit und üblen Geruch an sich hat, so zieht doch dasselbe Pferd denselben Mist mit großer Mühe auf das Feld; und daraus wächst der edle schöne Weizen und der edle süße Wein, der niemals so wüchse, wäre der Mist nicht da.“

Denk dran, meint Tauler also: Mist hat auch etwas Gutes. Auf den Menschen gewendet heißt das für ihn: „Nun, dein Mist, das sind deine eigenen Mängel, die du nicht beseitigen, nicht überwinden noch ablegen kannst, die trage mit Mühe und Fleiß auf den Acker des liebreichen Willens Gottes in rechter Gelassenheit deiner selbst.“

Der Mist – das ist für Tauler nicht nur ein einzelner Ausrutscher, ein Fehler oder Versehen. Es geht um etwas Tieferes: Um unsere körperlichen und seelischen Grenzen, an die wir stoßen. Um das, was wir vielleicht gerne besser machen würden – aber es nicht können. Um die Veranlagungen, die Schattenseiten, mit denen wir immer wieder kämpfen, aber die wir nicht loswerden.

Der Mystiker Tauler empfiehlt, gelassen zu bleiben. Nicht etwa resigniert, weil nichts zu machen ist. Sondern, im Gegenteil, hoffnungsvoll: Weil ich meinen Mist – meine Mängel, die ich nicht überwinden kann – bei Gott abladen, ja „mit Fleiß und Mühe“ zu ihm tragen soll. Zum Beispiel im Gebet. Damit verschwindet der Mist nicht. Im Gegenteil, ich muss mich meinen Mängeln sogar nochmal stellen – und mit den Folgen weiter klarkommen. Aber ich muss mich nicht mehr ständig daran abarbeiten – und kann trotz meiner Schattenseiten befreit weiterleben. Aus dieser Freiheit, glaube ich, kann Neues entstehen. So wachsen bei Gott, aus Gottes „liebreichem Willen“, wie Tauler sagt, aus meinem Mist vielleicht sogar neue Früchte. Wie auf dem Feld. Ja, so möchte ich mir das vorstellen!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32062
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