SWR4 Sonntagsgedanken

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15NOV2020
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Wie sehr hätten wir das gerade in diesem Jahr gebrauchen können, diese Lichter der Hoffnung! Aber die Situation ist klar: Martinsumzüge sind abgesagt worden. Und ich finde auch, alles sollte gemacht werden, um solidarisch zu sein mit denen, die durch das Coronavirus gefährdet sind. Denn gerade das, solidarisch zu sein, ist doch etwas, was unbedingt zum Martinsfest dazugehört. Da geht es doch nicht nur drum, mit Lichtern durch die Straße zu ziehen und Glühwein und Punsch zu trinken, weil das Feiern so schön ist. Das auch. Aber wenn es eben nicht nur ein folkloristisches Lichter- und Glühweinfest sein soll, sondern ein echtes Martinsfest, dann hat das doch auch was mit dem heiligen Martin zu tun. Vielleicht hat der Martinstag dieses Jahr ziemlich hart deutlich gemacht, warum wir eigentlich Sankt Martin feiern. Wenn ich an den heiligen Martin denke, wie er der Legende nach für den Bettler sprichwörtlich vom hohen Ross gestiegen ist, um seinen Mantel zu teilen; seine Privilegien in der kalten Jahreszeit aufgibt und den Mantel, das Zeichen seiner militärischen Macht und Würde, ablegt und teilt. Wenn ich also an den heiligen Martin denke, dann sehe ich in dem Verzicht dieses Jahr auch ein starkes Zeichen, was gut zum heiligen Martin passt: Solidarisch sein; sich um die kümmern, die alt und krank und schwach sind; nicht nur an die eigenen Bedürfnisse denken, sondern abgeben, auch wenn ich selbst zurückstecken muss. Wie sehr hätte ich den Kindern und allen die Freude am Umzug gegönnt, wenn Lichter leuchten und Kinderaugen gleich mit. Aber ich sehe auch: An vielen Orten ist zwar der Martinsumzug ausgefallen, aber doch nicht das Martinsfest! Ich lese von kreativen Aktionen in Kirchengemeinden: Das Bistum Mainz hat zum Beispiel eine virtuelle Lichterkette im Internet veranstaltet: Viele haben echte Laternen in ihre Fenster gehängt und Fotos davon mit einem schönen Spruch gepostet. Gemeinsam Hoffnungslichter anzünden. Die Bistümer Limburg und Rottenburg haben die Aktion „Zünd ein Licht an“ ins Leben gerufen. Und so gezeigt, wie es auch im Leben von denen etwas heller werden kann, die gerade traurig, einsam und allein sind; die schutzlos sind und ganz wörtlich „vor den Toren der Stadt“ liegen: Obdachlose, Geflüchtete, gesellschaftliche Ausgegrenzte. Tolle Ideen wurde da umgesetzt: An Menschen in Not zu denken, für sie ein Licht anzuzünden und konkret zu helfen; mit den Bedürftigen zu teilen, zu spenden, Zeit für Einsame zu haben, sie anzurufen, ihnen zu schreiben, mit Videoschalten Kranke und Traurige virtuell zu besuchen und so weiter: Es gibt ganz viele Ideen. Und all das war und ist ja weiterhin möglich. Die brennenden Kerzen sind nur ein Anfang und Zeichen für die echten Hilfen, die dann folgen. Und dann sehe ich: Das ist gar nicht ausgefallen.

 

Sicher: vieles war anders als sonst in diesem Corona-Jahr, auch für die Kirchen. Das traditionelle “Das haben wir schon immer so gemacht” hat in diesem Jahr nicht funktioniert. Und viele haben sich neu überlegt: Was feiern wir da eigentlich? Was ist uns wichtig an Sankt Martin? Was bedeutet das heute: Teilen wie Sankt Martin? Und so haben viele auch Neues entdeckt. Im Bistum Mainz haben sich Leute überlegt, wie die Kirche künftig sein soll. Eine Zukunftsvision. Teilen wie Sankt Martin, das bedeutet: Glauben teilen, Leben teilen, Verantwortung teilen und Ressourcen teilen. Viermal teilen wie Sankt Martin – als Wegweiser in eine gute Zukunft: Glauben, Leben, Verantwortung und Ressourcen. Die ersten beiden klingen vielleicht am einleuchtendsten für eine Zukunftsvision der Kirche: Es geht darum, Glauben und Leben zu teilen:

  einander im Glauben zu stärken, indem die Kirche das, was Menschen in ihrem Leben heute bewegt, wirklich ernst nimmt. Da kann meine Kirche vom heiligen Martin noch viel lernen. Und ich versuche es auch. Und beim „Glauben und Leben teilen“ geht es nicht nur um „die Kirche“ als Institution. Da kann jeder mit anpacken. Die beiden anderen Orientierungslichter vom heiligen Martin in dieser Zukunftsvision sind da schon sperriger: Verantwortung teilen und Ressourcen teilen. So manche scheinbar Wichtigetun sich schwer damit, Verantwortung abzugeben. Manche tun sich auch schwer damit, überhaupt Verantwortung zu übernehmen, wenn ich da an die Missbrauchsaufarbeitung denke... Ein weites Feld und noch viel zu tun - auf vielen Ebenen! Beim “Ressourcen teilen” wird es nicht einfacher: wenn's ums Geld geht, prallen Welten aufeinander: die einen werfen der Kirche vor, unendlich reich zu sein und nichts abzugeben. Andere sehen auch, dass die Kirche viel tut: in kirchlichen Schulen, Krankenhäusern, Kitas, bei Caritas und Diakonie. Da geht es drum, vernünftig für die Zukunft zu planen und Ressourcen gut einzuteilen, damit sie auch künftig noch ausreichen. Aber auch beim Ressourcen-Teilen geht es nicht nur um „die Kirche“ und „die anderen“, sondern auch darum, was ich persönlich bereit bin zu teilen: an Geld und genauso an Zeit, Einsatz und Hilfe für andere: Was kann ich teilen mit denen, die etwas brauchen? Teilen wie Sankt Martin: Ich finde, das sind vier gute Leuchten auf dem Weg: Glauben teilen, Leben teilen, Verantwortung teilen und Ressourcen teilen - nach dem Vorbild des Heiligen Martin – und nicht nur in der Kirche. Wenn das gelingt, dann geht vielleicht manchem – trotz Corona - ein hoffnungsvolles (Martins-)Licht auf - und das darf gerne geteilt werden.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32060
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