SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

16NOV2020
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„Ich bitte Sie, sich zu erheben, wir halten eine Schweigeminute für unsere verstorbenen Mitglieder“. Mit diesen Worten hat die Vereinsvorsitzende uns dazu aufgefordert, aufzustehen.

Wie lange dauert so eine Schweigeminute? In diesem Fall sind es wohl keine dreißig Sekunden gewesen, bis die Vorsitzende sich wieder hingesetzt hat. Es ist ihr offenbar nicht leichtgefallen, eine ganze Minute die Leute schweigend stehen zu lassen.

Schweigend an die Toten denken, das kann bedeuten, dass es in mir sehr unruhig wird. Weil der Gedanke an den verstorbenen Menschen mich unruhig macht oder der Gedanke an den Tod überhaupt. „In stillem Gedenken“ steht auf vielen Trauerkarten. Trauer und Stille – die gehören offenbar zusammen.

Aber das Schweigen und die Stille, die haben viele Dimensionen. Wenn ich nach einem geschäftigen Tag nach Hause komme, genieße ich die Stille. Und wenn ich mich beim Schreiben konzentrieren muss, dann stört mich schon das Summen einer Fliege. Als ich neulich an den Tod einer guten Freundin gedacht habe und als mir dann in den Sinn gekommen ist, wie sehr ich das Gespräch mit ihr vermisse, da hat mich die Stille auf einmal sehr traurig gemacht.

Manchmal erlebe ich es, dass am Schluss eines Konzerts für einen Augenblick völlige Stille herrscht. Keiner klatscht, keiner springt auf, keiner räuspert sich. Alle Zuhörer halten noch einen Moment lang still. Ein solches Schweigen ist mehr als die Abwesenheit von Geräuschen. Es ist der Raum einer tiefen inneren und gemeinsamen Erfahrung. Die Menschen sind berührt und ergriffen und schweigen, weil mit ihnen etwas geschehen ist, was ihnen gutgetan hat. Dieses Schweigen muss man dann gar nicht ansagen; es geschieht von alleine.

In einem Abendlied aus Schweden hießt es:
Der Lärm verebbt, und die Last wird leichter. / Es kommen Engel und tragen mit. / Gott, segne alle, die dir vertrauen. / Gib Nacht und Ruhe, wo man heut litt.

Ruhe, Stille, das kann eine Möglichkeit sein, Kraft zu sammeln, auch um darüber nachzudenken, was mich beunruhigt und aufwühlt. Immer wieder einmal bewusst still zu halten, das kann wie eine gute Übung sein.

Ich glaube, dann kann man auch die unangenehme Stille – zum Beispiel einer ganzen Schweigeminute – besser aushalten.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32027
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