SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

12NOV2020
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Bitten ist menschlich. Man könnte sogar zuspitzen und sagen: wer nicht bitten kann, dem fehlt Entscheidendes. „Mein Mann braucht mich nicht“, sagt z.B. eine Frau in der Beratung, „er macht alles mit sich alleine aus“. Kernpunkt ihrer Enttäuschung: ihr Partner kann sich nicht bedürftig zeigen, er kann nicht bitten, und das wäre ja der größte Liebesbeweis. Zusammen mit dem „Danke“ ist das „Bitte“ vielleicht das basalste Grundwort des Lebens überhaupt. Von den kleinen Kindern wäre es ja noch zu lernen: je grösser die Liebe, desto grösser das Vertrauen; je mehr Vertrauen, desto mehr Mut, auch Bedürfnisse zu äußern und gar um Hilfe zu bitten. Aber mit dem Erwachsenwerden wächst wohl der Ehrgeiz, alles alleine machen zu müssen. So groß wird die Angst, dumm da zu stehen und sich eine Blöße zu geben. Jedenfalls ist das die Gefahr in einer Gesellschaft, in der man möglichst perfekt und erfolgreich sein will und muss. Bitten hieße ja zugeben, dass man auf andere angewiesen ist – und das gilt als Schwäche – bei uns Männern noch mehr als bei Frauen. Dabei steckt darin ein riesiges Potential zur schöpferischen Vernetzung, und einer bräuchte den anderen.

Bitten können ist eine Stärke. Nicht zufällig sind z.B. die Jesus-Geschichten der Bibel und des Glaubens voll davon: „bittet, und euch wird gegeben werden“ (Mt 7,7). Da ist große Zuversicht im Spiel, und zwar wechselseitig. Jesus weiß offenkundig: Gott braucht mich, er will mich – und ich brauche ihn, ich will ihn. Im Bitten traut er Gott alles Gute zu, und da gilt es, nicht locker zu lassen. Das ganze Vater-Unser reiht nur Bitten aneinander – und das mit mutiger Anrede und in bezeichnender Reihenfolge:  Angesprochen wird das göttliche Gegen-Über, das volles Vertrauen verdient: Vater und Mutter, Freund und Freundin. Dieser Gott lässt bitten, der ganze Alltag will ins Gebet genommen werden, gerade in schwierigen Zeiten wie diesen.

„Herr, ich bin bedürftig, aber sprich nur ein Wort, und meine Seele wird gesund“ – so lässt sich jene biblische Bitte übersetzen, die vielen noch aus dem Gottesdienst vertraut ist (vgl. Mt 8,8). Das ist genau jene Beziehungsstärke, die die Ehefrau bei ihrem verstummten Mann vermisst. Sie kam ja zur Beratung, weil sie die Hoffnung für ihre Beziehung noch nicht aufgegeben hat. Gott und den Mitmenschen bitten können – das hat denselben Klang: die Größe des Menschen ist es, Gottes zu bedürfen – und des Nächsten.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32020
weiterlesen...