Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

11NOV2020
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

„Bist du glücklich?“ fragt er sie. „Ja“ antwortet sie und beide strahlen. So klingt es oft am Anfang einer Beziehung. Und es ist wunderbar, wenn zwei Menschen sich finden und man ihnen das gemeinsame Glück schon von Weitem ansieht. Aber selten ist Beziehungsglück von allzu langer Dauer. Ich rede gar nicht von Trennung. Aber von Alltag. Glück nutzt sich ab. Manchmal schneller als mir lieb ist. Was mich heute glücklich macht, dass muss noch lange nicht bis morgen halten. Schade eigentlich. Wo glücklich sein doch ein so intensives und erfüllendes Gefühl ist. Es macht richtiggehend süchtig. Kein Wunder, das Glück so hoch im Kurs steht. Dass es im Leben scheinbar nur darum geht, glücklich zu werden und möglichst glücklich zu bleiben.

„Was dich nicht glücklich macht, kann weg.“ Das habe ich neulich auf einem Plakat gelesen. Ich glaube, das ist ein fatales Motto. Denn was bliebe dann übrig? Wer geht schon immer gerne morgens ins Büro? Wer bringt die Kleinen nicht manchmal lieber in den Kindergarten als sie abzuholen? Wer freut sich denn auf jedes Handballspiel, zu dem man den Sohn oder die Tochter begleiten muss? Und wenn ich ehrlich bin, ist auch der Besuch bei den Eltern am Sonntag manchmal mehr Pflicht als Kür.
Aber dann grüßt mich im Büro der Kollege und freut sich ehrlich, mich zu sehen. Und ich spüre: Ich bin ihm wichtig. Die Kleinen können es kaum erwarten, Mama oder Papa direkt am Ausgang ihr neuestes Moosgummikunstwerk zu zeigen. Beim Handballspiel halte ich es vor Spannung kaum mehr aus und ich bin stolz wie Oskar auf den Nachwuchs. Oder ich betrete die Wohnung meiner Eltern und spüre, hier ist zu Hause und sie brauchen mich.

In solchen Momenten fühle ich es manchmal, das Glück. Dann ist es einfach da – ein Nebenprodukt des Alltags. Ein schöner Zwischenfall im Leben. In der Bibel steht: „Am Tag des Glücks sei guter Dinge, und am Tag des Unglücks bedenke: Auch diesen wie jenen hat Gott gemacht, und was künftig sein wird, kann der Mensch nicht wissen.“ (Pred 7,14)
Ich denke, so ist es mit dem Glück. Es kommt, es hat seine Zeit und es geht. Es bringt nichts, das Glück zum Ziel des Lebens zu erklären. Die Kunst ist auch nicht, ihm hinterherzujagen. Es kommt darauf an, das Glück im Alltag zu erkennen. Dann kann ich es genießen, wenn es sich einstellt und es auch wieder ziehen lassen. Es wird wieder kommen, denn alles hat seine Zeit. Auch das glücklich sein.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32014
weiterlesen...