SWR3 Gedanken

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09NOV2020
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Rachel Naomi Remen ist eine jüdisch-amerikanische Ärztin und Autorin.
In ihren Büchern erzählt sie immer wieder von ihrem geliebten Großvater. Er war Rabbi und sie hat viel von ihm über das Leben gelernt. Zum Beispiel durch folgende Geschichte, die sie als Kind mit ihm erlebt hat:  

„Einmal hat mir mein Großvater einen kleinen Pappbecher mitgebracht. Ich schaute hinein, erwartete irgendeine Überraschung. Er war voller Erde. […] Er sagte zu mir: „Wenn Du versprichst, jeden Tag etwas Wasser in den Becher zu gießen, dann wird vielleicht etwas geschehen.“ Als Tage vergingen, ohne dass sich irgendetwas tat, fiel es mir immer schwerer, daran zu denken, Wasser in den Becher zu gießen. Ich ließ aber keinen Tag aus. Und eines Morgens waren da zwei kleine grüne Blätter […]. Ich staunte nicht schlecht. Ich konnte es kaum erwarten, meinem Großvater davon zu berichten. Er erklärte mir, dass das Leben überall sei, versteckt an den unwahrscheinlichsten Orten. Ich strahlte. „Und es braucht nur ein bisschen Wasser, Großvater?“ fragte ich ihn. Er legte mir sanft die Hand auf den Kopf. „Nein“, antwortete er. „Alles was es braucht, ist deine Zuverlässigkeit.“

 

Aus: Rachel Naomi Remen, Aus Liebe zum Leben, arbor Verlag, Freiamt 2015, S. 9-10.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31998
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