SWR2 Wort zum Tag

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09NOV2020
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Es war ein eher unerfreuliches Telefongespräch – vor ein paar Jahren. Ein Hörer hatte sich damals geärgert über Gedanken, die ich mir und ihm zum neunten November gemacht hatte. Im Radio, irgendwann am Morgen. Ich bekam einen langen Brief von ihm. Tenor: Es muss endlich mal Schluss sein mit diesen Nazi-Geschichten und mit der Erinnerung an die – ja an was!? Hätte er geschrieben: Schluss mit der Erinnerung an die vielen ermordeten Juden: Das wäre ihm schon wieder zu nah herangekommen an die Wirklichkeit, die er eigentlich wegdrücken will. Also schwurbelte er was herum von Schluss mit der „Erinnerung an die alten Geschichten“ und „angebliche Verbrechen“…

Immerhin: Er hat seine Adresse aufgeschrieben, statt anonym zu bleiben. Also habe ich ihn angerufen. Wie gesagt: unerfreulich und wenig erfolgreich. Er war einfach ganz sicher, dass er Recht hat. Und meine Einwände: Dass in unserer Gesellschaft schon wieder Menschen Angst haben, auf der Straße aufzufallen wegen ihrer Hautfarbe oder Sprache... Dass schon wieder öffentlich diskutiert werden kann, ob eine Synagogengemeinde genug getan hat für ihre Sicherheit oder ob die Polizei dazu leider zu wenig Kräfte frei hat …

Er fand, dass das alles was ganz anderes ist – und: endlich „Schluss mit den alten Geschichten“ und „es war doch nicht alles schlimm, was der Führer gemacht hat“.

Klar, da hab ich aufgelegt; was zu viel ist, muss einfach zu viel bleiben... Und ganz bewusst erinnere ich auch heute wieder an die Verbrechen, die am neunten November vor zweiundachtzig Jahren ihren ersten traurigen Höhepunkt erreichten: Im ganzen Deutschen Reich brannten Synagogen, wurden Geschäfte zerstört, weil ihre Besitzer Juden waren, wurden Menschen öffentlich gedemütigt und gefoltert und sogar ermordet. In der Reichspogromnacht – und danach hat es nicht lange gebraucht, bis sie alle jüdischen Menschen, die sie finden konnten, zur systematischen Vernichtung in ihre Todesfabriken gebracht haben. Immer im Namen Deutschlands – also irgendwie auch in unserem Namen.

Damit ist Gott sei Dank Schluss – aber sicher muss die Erinnerung daran erhalten bleiben – auch heute, nach so langer Zeit und immer und immer. Schon damit alle aufmerksam bleiben, wo schon wieder Menschen solches oder ähnliches Unheil stiften. Rassismus und Ausgrenzung dürfen in diesem Land nie wieder eine Chance kriegen.

Also endlich „Schluss damit“!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31982
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