SWR4 Abendgedanken

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05NOV2020
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"Ich finde an der Geschichte von Zachäus cool, dass Jesus eigentlich gar nichts macht." - Das hat mir ein Schüler aus meiner 12.Klasse letzte Woche gesagt. Da musste ich erst mal nachdenken.

Die Geschichte von Zachäus geht so: Zachäus war Zöllner und entsprechend schlecht angesehen in der Gesellschaft damals. Als Zöllner hat er nämlich mit den Römern zusammengearbeitet und für sie Zölle eingetrieben. Die Römer waren die Besatzer, die Unterdrücker und entsprechend verhasst. Wer mit ihnen zusammengearbeitet hat, der war fast so schlimm wie sie. Und Zachäus war dazu auch noch ein Betrüger. Er hat höhere Zölle verlangt, als er eigentlich durfte und in die eigene Tasche gesteckt. Damit hat er sich doppelt zum Außenseiter gemacht.

Jesus hat diesen Zachäus entdeckt. Und: Er lädt sich bei ihm zum Essen ein. Sie essen. Sie reden. Sie verbringen eine nette Zeit miteinander. Alle wissen davon, viele sind empört. Und Jesus  tut im Haus von Zachäus: Nichts. Und trotzdem hat Zachäus am Schluss gesagt: Ich habe Mist gemacht. Das soll aufhören. Ich werde alles zurückzahlen.

Ich kann verstehen, dass meinem Schüler das gefällt. Es gibt keine Moralpredigt. Es gibt keine Meckerei. Kein: Tu dies, lass das. Kein: Du müsstest aber und außerdem solltest Du noch. Ich vermute mal, dass mein Schüler das von allen Seiten genug zu hören bekommt. Bei Jesus darf Zachäus einfach nur sein und muss nicht zu irgendetwas Anderem werden.

Mein Schüler hat das so erklärt: "Jesus sieht zwar, dass Zachäus als Zöllner betrogen und gesündigt hat. Aber als Mensch achtet er ihn trotzdem." Genau das hat Zachäus wohl ins Nachdenken gebracht. Gewiss hat es ihn auch berührt: Jesus kommt zu ihm, zum ihm, der womöglich selbst gar keine Achtung mehr vor sich hat. Und am Ende des Abends merkt Zachäus von ganz allein: So will ich nicht weiter machen.

Später, nach dem Unterricht, habe ich nochmal nachgedacht: Dass Jesus gar nichts macht, stimmt ja auch nicht so ganz. Er geht nämlich hin. Obwohl alle anderen sagen: "Der ist Zöllner. Mit dem wollen wir nichts zu tun haben." Jesus widersteht dem Mainstream.

Das ist nicht nichts, sondern ganz schön viel. Und vielleicht ist es sogar doch eine Art Moralpredigt. Aber nicht für Zachäus, sondern für die Empörten anderen.

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