SWR1 3vor8

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01NOV2020
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„Wir hatten ja noch nicht einmal einen Löffel!“, hat mir eine Frau von ihrer Ankunft nach dem Krieg erzählt. Pommerland war abgebrannt. Sie fand sich wieder an einem Ort, der auf ihrer Lebenskarte vorher nicht verzeichnet war.

In einem Sammellager bekam sie einen Platz. Sie fand Arbeit in einer Näherei. Später hat sie geheiratet, ein Kind entbunden und mit ihrer Familie eine kleine Werkswohnung bezogen. An Szenen der Demütigung und Scham vor allem in der Anfangszeit konnte sie sich gut erinnern. Ob sie je ganz in der neuen Heimat angekommen ist, könnte ich nicht sagen.

Wenn sie heute in die Kirche geht, hört sie im Gottesdienst von dem Brief, den Jeremia, ein Prophet Gottes, seinen verschleppten Landsleuten hinterher geschrieben hat. Verstört, verängstigt, ohne Löffel saßen sie in der Fremde und hofften, etwas aus der Heimat zu hören. In der Predigt heute wird bedacht, was der Gottesmann vor Jahrhunderten ihnen geschrieben hat.

Ich wünschte, alle Menschen in Deutschland würden diesen Brief hören und sich dann miteinander austauschen und ihre Erfahrungen teilen!

Jeremia fordert in Gottes Namen seine Landsleute auf, sich nicht zu verschließen, sondern - im Gegenteil -  sich mutig und entschlossen auf das Leben im Exil einzulassen.

Baut Häuser, schreibt Jeremia. Das ist ein langfristiges Projekt. Erst Notunterkunft, dann Anschlussunterbringung, aber irgendwann eben doch die eigene Wohnung.

Pflanzt Gärten, schreibt Jeremia. Auch das ist leichter gesagt als getan. Welche Mühe, in einem fremden Land Arbeit zu finden und den Lebensunterhalt zu bestreiten!

Gründet Familien, schreibt Jeremia. Das finde ich besonders berührend. Das gebeutelte Leben weiterreichen an Kinder. Und mit ihnen dem fremden Land Zukunft gönnen. Mit Kindern wachsen so viele Möglichkeiten!

Schließlich: Suchet der Stadt Bestes und betet für sie, schreibt Jeremia. Legt bei Gott ein gutes Wort für sie ein.  Auf diese Weise sollen sich seine Landsleute mit dem neuen Lebensort verbinden und neues Vertrauen fassen, auch wenn schmerzhafte Erfahrungen sie dahin geführt haben. Jetzt stelle ich mir morgens  im Bus auf dem Weg zur Arbeit vor, wie viele von den Vertriebenen, Exilanten, Geflüchteten und Zuwanderern für unsere Stadt beten, in der sie mit mir leben. Und was sie an diesem Tag für die Stadt tun. In der Tat, beides ist gut für die Stadt.

Jeremia hat recht, glaube ich: Auch in der Fremde lässt Gott mit sich reden, weil er nicht zurückgeblieben ist. Er ist mitgegangen. Ihm ist die Fremde nicht fremd. Manchmal denke ich sogar, sie ist sein Element.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31964
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