SWR2 Wort zum Tag

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26OKT2020
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Auf meine Stimme konnte ich mich immer verlassen - vor vielen Menschen oder in großen Räumen zu sprechen war für mich nie ein Problem. Beim Reden, Erzählen, Predigen, Vorträge halten – da war ich in meinem Element. Aber jetzt muss ich meine Stimme schonen, damit sich meine Stimmbänder nach einer Operation wieder erholen können. Laut sprechen oder gar singen geht noch gar nicht. Und wenn ich zu lange spreche, wird meine Stimme müde.

Natürlich hoffe ich, dass alles wieder wird. Aber erst mal heißt es für mich: weniger sprechen, was mir nicht so leicht fällt. Gleichzeitig entdecke ich, welches Potential im Zuhören liegt. Für andere und für mich. Ich gebe den anderen mehr Raum. Höre hin und versuche zu verstehen. Ich brauche auch nicht gleich eine Erklärung oder eine Antwort für alles.

In dieser persönlichen Erfahrung entdecke ich auch ein Sinnbild für meine Kirche. Die Zeiten, wo die katholische Kirche laut und vernehmbar in die Gesellschaft hineinsprechen konnte, wo ihr Wort moralisches Gewicht hatte, scheinen immer mehr zu Ende zu gehen. Spätestens seit den massiven Erschütterungen durch den Missbrauchsskandal, fragen sich auch gläubige Menschen: Was hat uns diese Kirche noch zu sagen?

Wenig sprechen – viel zuhören. Das empfiehlt auch Papst Franziskus. Wenn ich beim anderen ein offenes Ohr und ein offenes Herz spüre, dann kann ich erzählen, was mich gerade umtreibt und was mich bedrückt. Ich bin nicht mehr allein mit meinen quälenden Fragen und dadurch wird es mir leichter ums Herz.

Ich glaube, dass Jesus den Menschen so begegnet ist. Gerade bei den Heilungsgeschichten fällt mir das auf. Den Bartimäus etwa fragt er: „Was willst du, dass ich dir tue?“  Jesus nimmt Bartimäus und seine Sehnsucht ernst. So kann eine Beziehung und gegenseitiges Vertrauen entstehen. Heilsame Nähe. Am Ende sagt Jesus: „Dein Glaube hat dir geholfen.“ Bartimäus trägt also mit seinem Glauben, mit seinem Vertrauen in Jesus zu seiner eigenen Heilung bei.

Im Zuhören, in der Bereitschaft, einen andern nah an sich herankommen zu lassen und ihm einen Herzensraum zu öffnen, kommt eine spirituelle Dimension ins Spiel. In solchen Momenten  ist Gottes Nähe zu spüren. Ohne große Worte. Weil er auf uns hört.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31930
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