SWR4 Abendgedanken

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29OKT2020
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„ICE 372 von Interlaken nach Berlin, fahrplanmäßige Abfahrtszeit 8.57 Uhr. Dieser Zug wird heute etwa 40 min später ankommen.“

So ging’s mir vor kurzem am Bahnhof in Freiburg.

Also warten. Zuerst ein bisschen missmutig, weil mir klar war, dass ich zu meinem Termin in Frankfurt werde rennen müssen um pünktlich zu sein. Dann aber immer gelassener. Schließlich kommt der Zug auch nicht früher, wenn ich mich aufrege.

Leute beobachten am Bahnsteig, das ist etwas, was ich gerne tue. Da sieht man jeden Wartetyp. Den Unruhigen mit zusammengekniffenen Lippen, die Aufgeregte, die leise vor sich hin schimpft und sofort ihr Mobiltelefon zückt und aufgeregt telefoniert, den Unsteten, der ständig den Bahnsteig auf und ab läuft und auf die Uhr schaut, als ob die Zeit dann schneller gehen würde.

Ich selbst bin an einer Stelle stehengeblieben. Und mit der Zeit haben sich meine Gedanken geändert. Statt der Menschen auf dem Bahnsteig, sind es viele Bilder gewesen, die mir durch den Kopf gegangen sind. Fröhliche, traurige, von streitenden Menschen, vom Krieg in Syrien. Und im Stillen habe ich Gott um seine Hilfe gebeten, dass die Menschen dort wieder in Frieden leben können.

Beten und Warten, Warten und Beten?

In unserer eng getakteten Zeit ist für Warten eigentlich kein Platz. „Wo bleibst Du denn so lange, wir wollen doch los!“, hören viele Kinder von den Eltern.

Beim Arzt heißt es: „Nehmen Sie bitte im Wartezimmer Platz!“.

Verlorene Zeit? So kann man es sehen. Muss man aber nicht.

Vielleicht ist es sogar geschenkte Zeit.

Beim Warten kann man etwas lesen, zu dem man sonst nicht kommen würde. Oder ich kann über etwas nachdenken, für das ich mir sonst keine Zeit nehmen würde. Manchmal entwickeln sich auch interessante Gespräche mit den anderen Wartenden.

Vielleicht haben Sie ja auch Gedanken, die Sie beschäftigen, die Sie gerne Gott anvertrauen möchten, weil Sie selbst damit nicht weiter wissen. Sagen Sie es Gott so, wie es Ihnen in den Sinn kommt. Das ist beten. Und wenn man warten muss, geht das besonders gut.

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