SWR2 Wort zum Tag

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23OKT2020
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„Sie dürfen die Bilder gerne fotografieren!“ Selten, dass ich einen solchen Satz in einer Ausstellung zu lesen bekomme. Aber der Satz ging dann noch weiter: „Zwei Bilder sind davon ausgenommen!“ Was auch immer der Grund dafür war, urheberechtliche Überlegungen oder der besondere Wert gerade dieser beiden Bilder - ich habe jedenfalls festgestellt: Viele Besucher hatten es mit ihren Handys gerade auf diese beiden Bilder abgesehen. Und sie drückten auf den Auslöser, sobald die Aufsicht gerade nicht im Raum war.

Ich musste an die Schöpfungsgeschichte denken. „Von allen Bäumen dürft ihr essen“, sagt Gott da zu Adam und Eva. „Nur nicht von dem einen.“ Das hat die beiden nicht abgehalten, dieses Verbot zu übertreten. Das Spiel mit dem Verbot, der heimliche Grenzübertritt – sie üben einen Reiz aus. Ohne Frage. Und er verlockt auch dazu, mit dem Überschreiten der Grenzen einen kleinen Sieg über die Regeln zu feiern.

Wenn Grenzen festgelegt werden, ist dabei zunächst einmal die Absicht verbunden, jemanden zu schützen. Vor dem Verlust der rechtlichen Ansprüche, die jemand hat, wie beim Urheberrecht. Vor dem Verlust der Gesundheit. Im Fall vom Baum im Paradies auch vor der Gefahr, der Mensch könnte seine Möglichkeiten überschätzen. Grenzen leben davon, dass ich denjenigen, die sie definieren, einen Vorschuss an Vertrauen entgegenbringe. Und dass ich sie respektiere, auch wenn sie mir einmal nicht gleich einleuchten. Und mir in manchen Fällen eine andere Grenze lieber wäre.

Natürlich kann ich bei allen Grenzen nach deren Sinn fragen. Muss es manchmal sogar. Im Fall der beiden Bilder im Museum ist das ja sehr einfach. Da kann mir die Museumsaufsicht schnell den Hintergrund dieser Grenze erläutern. Bei Adam und Eva geht es da schon um etwas grundsätzlich Anderes. Da geht es darum, ob ich die Grenzen akzeptiere, die einfach mein Menschsein mit sich bringt. Ihr Grenzübertritt hatte für die beiden einschneidende Folgen. Sie werden aus dem Paradies vertrieben. Manchmal sind Grenzen eben geradezu heilsam. Und ihre Überschreitung hat Konsequenzen. Für die Gesundheit. Als Schutz vor Überforderung. Aus Rücksicht auf die Schwachen. Auch wenn ich um kritische Rückfragen nicht immer herumkomme. An meinem Umgang mit Grenzen zeigt sich jedenfalls jedes Mal, ob ich mutig und frei genug bin, recht zu entscheiden, was jetzt dran ist.

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