SWR2 Wort zum Tag

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21OKT2020
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Jedes Lebensalter hat seine Vorzüge und seine Defizite. Manchmal erkennt man das erst spät oder gar nicht – und meistens sieht man nicht, was unmittelbar vor Augen liegt. Menschen neigen dazu, Vergangenes im Leben zu vergolden, und gewiss: die spielerische Neugier des Kindes oder die ungestüme Weltverbesserungsperspektive der Jugend haben ihre Stärke und ihren Charme.

Doch es gibt auch in anderen Lebensphasen Glanzlichter: ob es das Gefühl ökonomischer Unabhängigkeit oder beruflichen Erfolgs ist, das Glück der eigenen Kinder und später der Enkel. Und man spricht auch von der erfahrungsgesättigten Weisheit des Alters.

In einem Weisheitswort der Bibel heißt es: „Denk an deinen Schöpfer in deiner Jugend, ehe die bösen Tage kommen und die Jahre sich nahen, da du sagen wirst: Sie gefallen mir nicht.“ Nicht schwer vorzustellen, wer so etwas schreibt. Da ist jemand im Alter angekommen, hat die Blüte des Lebens kennen gelernt, die er jetzt verwelken sieht. Und nun wendet er sich an die Jugend mit dem Aufruf: „Freut euch eures noch blühenden Lebens! Es wird nicht besser!“

Das weisheitliche Wort aus dem biblischen „Prediger“-Buch kann man so hören: als Mahnung, die Schönheit und Stärke jugendlicher Erfahrungen zu schätzen, bevor Leib und Geist dem natürlichen Alterungsprozess anheimfallen.

Doch ich kann es auch anders verstehen: als eine Art inneren Dialog. Jedes Lebensalter hat einem anderen etwas zu sagen. Meine eigene Jugend hat eine Botschaft an mich in meinem Alter.

„Denk an deinen Schöpfer in deiner Jugend…“ – das kann für mich auch heißen: „Schau auf deine Lebenszeit als junger Mann, auf die Aufbruchsstimmung damals. Aber fang nicht an, dem nachzutrauern wie einem verlorenen Schatz! Du hast ja diesen Schatz auch heute noch in dir – als Erfahrungsschatz. Also lerne von ihm! Lerne es, Gott dankbar zu sein für die Schönheit und Blüte deines Lebens, für die Augenblicke, da du die Lebenskräfte in dir spürtest, die Gott in dich hineingelegt hat.“

Die Mangelerfahrungen des Alters machen den Dank bisweilen etwas schwer. Doch aus den eigenen jüngeren Jahren kann ich davon etwas für mich gewinnen – gerade in den Tagen, von denen ich sagen möchte: „Sie gefallen mir nicht.“

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