SWR2 Wort zum Tag

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20OKT2020
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Einer meiner Lieblingsverse der Bibel ist das Psalmwort: „Gott spricht: Ich stelle deine Füße auf weiten Raum.“ Gott als ein Gott des weiten und offenen Raums, ein Gott der Freiheit.

Ich bin in religiösen Verhältnissen aufgewachsen, die von der Weite dieses Psalmworts nur wenig erkennen ließen. Als Jugendlicher habe ich die Grenzen konservativer Moral zu hören und zu spüren bekommen – ob es um die in diesem Alter so brennenden Fragen von Liebe und Sexualität ging, um das Verhältnis zu Autoritäten oder um die politische Moral, die sich in meiner Jugend vor allem an Themen der Friedenssicherung und der Ökologiebewegung abarbeitete.

„Ich stelle deine Füße auf weiten Raum.“ Das meint im unmittelbaren biblischen Kontext die Befreiung aus Erfahrungen, die bedrängen und einengen. Die körperlich nahe gehende Auseinandersetzung mit denen, die einem nach dem Leben trachten. Der weite Raum ist dagegen ein Hort neu gewonnener Sicherheit, der erst einmal aufatmen lässt.

Eine bedrängende Erfahrung – das kann auch eine berufliche Situation sein, in der man sich kontrolliert und eng angebunden fühlt, noch ehe die eigene Kreativität wirksam werden darf, um Herausforderungen mit Phantasie und Mut anzugehen. Oder wenn der Terminkalender so dicht gefüllt ist, dass er für Atem- und Kunstpausen keine Luft lässt.

„Ich stelle deine Füße auf weiten Raum“ – das heißt für mich: Bei Gott gibt es zunächst einmal keine Denkverbote. Freilich, nicht alles ist richtig und tragfähig, was ich mir in meinem Kopf zusammenreime. Ich muss korrekturfähig bleiben, nicht zuletzt durch die Worte der Bibel oder die Erfahrungen in einer Gemeinschaft von Mitchristen. Aber am Anfang steht der weite Raum, die Freiheit drauf los zu denken und nicht gleich möglichen Bedenken Rechnung tragen zu müssen.

Etwas Zweites kommt hinzu: Weiter Raum ist auch das Gegenteil von engem Horizont. Das ist mehr als die eigenen vier Wände oder der beschauliche Vorgarten. In einen weiten Raum mit offenem Horizont wird vieles sichtbar – auch manches, das mir vielleicht auf den ersten Blick nicht gefällt: eine andere Sicht der Dinge, ein anderer Lebensstil, eine kritische Anfrage an mich. Und ich vertraue darauf, dass Gott mir die innere Beweglichkeit und Offenheit schenkt damit umzugehen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31860
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