SWR4 Abendgedanken

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15OKT2020
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Das Jahr 2020 geht mit großen Schritten auf sein Ende zu. Vermutlich wird es als das Jahr mit „Corona“ in die Geschichtsbücher eingehen. Das trifft es zwar, aber ich finde es schade, wenn darüber die Jubiläen und Jubilare fast untergehen, von denen ich mich sonst auch gerne für ein Jahr inspirieren lasse. Dieses Jahr wäre eigentlich der 250. Geburtstag von Beethoven zu feiern. Und der von Friedrich Hölderlin. Gerade für Krisenzeiten wie jetzt finde ich bei Hölderlin Gedanken, die mir Mut machen.

Hölderlin hat in Tübingen Theologie studiert. Und er war zeitlebens Schwierigkeiten ausgesetzt, hat Krisen durchgemacht und bei alledem seine Hoffnung nicht verloren.

Das fängt schon damit an, dass er nicht dem Wunsch seiner Familie gefolgt ist. Er hat sich geweigert, den Weg zu gehen, den seine Eltern für ihn geplant haben, und ist eben nicht Pastor geworden und bei der Theologie geblieben, sondern hat sich als Hauslehrer durchgeschlagen. Auch seine Beziehungen zu Frauen sind nicht unter einem guten Stern gestanden. Er musste wegen seiner missglückten Liebschaften oft den Wohnort wechseln und anderswo neu anfangen. Vermutlich hat er schon früh depressive Phasen durchgemacht. Die Lebenskrisen, die er dazu noch erlebt hat, haben ihn an den Rand der Verzweiflung gebracht. Darüber ist er psychisch krank geworden.

Viele seiner Gedichte sind unter anderem auch deshalb so wirr und unverständlich, weil Hölderlin zeigen wollte, wie verzweifelt er ist und wie wenig er die Welt versteht.

In seinen letzten Lebensjahren hat er schwer krank in einem Turm am Neckar gelebt. Die Tübinger Schreinerfamilie Zimmer hat ihn dort wohnen lassen und ihn versorgt.

Er hat beides erlebt, tiefe Verzweiflung und die Hilfe von anderen Menschen. Vielleicht ist es diese Hilfe von Menschen, die er erfährt und die sein Vertrauen in das Rettende im Leben stärkt, so dass er sagen kann: „Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch“ .

Immerhin bringt er diese Aussage in einem Gedicht, in dem er gleich am Anfang die Frage nach Gott stellt. Ich finde diesen Satz Hölderlins stark, weil es kein billiger Trost ist. Es ist nicht wie bei einem Menschen, der naiv nur hofft, dass Gott das Böse wie mit einem Fingerstreich wegwischt. Dazu hat er selbst viel zuviel Schwieriges erlebt. Und dennoch hat er diese Hoffnung.

In diesem Hölderlin-Jahr 2020, wo wir alle viel von den Gefahren reden und das Rettende noch nicht fassen können, gibt mir das Trost. Deshalb sage ich mir bewusst auch im Vertrauen auf Gott: „Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch“.

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