SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

13OKT2020
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Es gibt Situationen, da bringen mich Menschen so auf die Palme, dass ich kaum aus dem Ärgern rauskomme. Das Gespräch ist schon lange vorbei, das den Ärger in mir verursacht. Aber ich kann fast nicht aufhören, es in Gedanken immer noch weiter zu führen. Ich phantasiere mir zusammen, was ich noch alles hätte sagen können. Und wie es dann sonnenklar wäre, dass ich im Recht bin. Wenn ich aber merke, dass ich in so eine Gedankenschleife komme, ärgert mich das noch mehr. Die Leute, über die ich mich ärgere, haben dann in meinen Gedanken noch die Macht, mich in schlechte Stimmung zu bringen. Aber nicht sie ärgern mich dann, sondern ich bin es, der sich selbst ärgert. Die anderen ahnen das wahrscheinlich gar nicht und vermutlich wollen es auch die wenigsten.

Ein Weg, wie ich aus diesem selbst gemachten Ärger rauskomme, ist für mich das „Vater unser“. Die Bitte „Geheiligt werde Dein Name“ stimmt mich besonders nachdenklich. Ein Name Gottes, der mir heilig ist, heißt „Barmherzigkeit“. „Barmherzigkeit“ bedeutet, dass Gott das Allerbeste für mich will. Ich stelle mir vor, dass Gott meine Stärken, aber auch Schwächen und Fehler kennt und mich versteht, aber dass er mit seiner Güte souverän und großzügig über alledem steht. Eben auch dann, wenn ich jetzt noch in meinen Ärger verstrickt bin. Dann verstehe ich besser, dass Gottes Menschenkenntnis nicht nur für mich da ist, sondern auch die Fehler der anderen mit Güte und Nachsicht sieht. Wenn ich also bete „Geheiligt werde Dein Name“ , denke ich dabei an seine „Barmherzigkeit“. Ich muss längst nicht so großmütig sein wie er. Aber ich schaue aus meiner Wutspirale heraus und sehe, dass es eine andere Sichtweise gibt, aus der heraus ich andere Menschen wohlwollend anschauen kann.

Ich denke an Gottes Barmherzigkeit und bete das Vaterunser. So wird er der Dritte, der zwischen mir und dem anderen steht, der mich ärgert. Die Vorstellung einer solchen dritten Sichtweise, die beide Seiten versteht und das Gute will, hilft mir weiter. Ich gestehe mir meine Wut zu und gleichzeitig verstehe ich, dass mein Ärger nur ein Teil der Wahrheit ist. Das macht ihn schon kleiner und ich komme einen Schritt weiter. Manchmal kommt mir dann sogar schon eine Idee, wie ich den Konflikt lösen und auf den anderen zugehen kann.

Die Vorstellung, dass ich Gottes Barmherzigkeit heilig halten will, ist also nicht nur Gott zu Ehren, sie hilft auch mir selbst. Deshalb versuche ich, sie täglich zu üben.

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