SWR3 Gedanken

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14OKT2020
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Meine Kollegin Mia hat dreieinhalb Wochen geschwiegen. Sie hat sich in den Sommerferien eine Auszeit genommen, hat ihr Handy zuhause gelassen und ist in ein Kloster gegangen. Vierundzwanzig Tage schweigen, ohne Kontakt zu ihrem Partner, zur Familie und zur Außenwelt. Irgendwie krass: die meisten versuchen ja gerade zu vermeiden, dass sie in Quarantäne müssen, aber Mia macht das von sich aus und setzt sogar noch einen drauf – ganz ohne Handy oder Glotze. Mia sagt: „Ich komme in der Zeit mir und auch Gott näher.“

Interessant finde ich, dass sie in den dreieinhalb Wochen genau das gleiche tut wie Gott: sie schweigt. Gott schweigt ja auch, bei mir zumindest schon mein ganzes Leben lang. Alles, was ich von Gott gehört habe, habe ich aus zweiter Hand: von anderen Menschen oder ich habe es gelesen, in der Bibel zum Beispiel. Und wenn ich bete, bin ich auch der einzige, der etwas sagt. Eine direkte Antwort von Gott habe ich noch nicht bekommen und ich erwarte auch keine.

Ich habe gedacht, ich probiere das auch aus. Schweigen, so wie Mia. Ich habe mich am Morgen hingesetzt und 15 Minuten Gott angeschwiegen. Genauso wie Gott es schon mein ganzes Leben lang mit mir macht. Ich finde die Szene irgendwie auch komisch, wie wir beide dasitzen und uns anschweigen. Gott womöglich aus einer großen Weisheit heraus, ich eher trotzig.

Ich habe in meiner Viertelstunde nur den Straßenlärm und meinen eigenen Atem gehört. Nur die Geräusche von draußen und die in mir drin. Und es geht mir wie Mia. Ich habe auch das Gefühl: Ich bin nicht nur mir, sondern auch Gott ein Stückchen nähergekommen, ganz ohne Worte.

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